Jul 2021

Was unterscheidet mich von dem herunter gekommenen, jungen Mann auf der gegenüber liegenden Straßenseite, der sich schnellen Schritts einem Abfalleimer nähert und darin zu wühlen beginnt, vermutlich auf der Suche nach Pfandflaschen, aber nichts findet, als einen halb vollen (oder halb leeren) ”Coffee to go”, den er dann aus Enttäuschung und sichtlich genervt in hohem Bogen in den Mülleimer entleert? Gottes Fügung, Zufallsglück der Geburt und der Herkunft? Entlang eines ähnlichen Gedankens von Pater Josef Neuenhofer, der sich in La Paz (Bolivien) um Straßenkinder kümmert.

Anpassung ist nun mal Anpassung. Man hält sich an Vorgaben, und man hat immer mehr oder weniger verständliche Gründe dafür.

Eingeschränkte Anpassungsfähigkeit wird mehr denn je als ein vermeintliches Persönlichkeitsdefizit aufgefasst. Dass sie auch positive Seiten hat, wird dabei leicht übersehen.

Eine intensiv landwirtschaftlich genutzte Natur verliert ihre Größe. Groß dagegen, und immer noch größer, erscheinen die landwirtschaftlichen Maschinen, die den Erdboden erzittern lassen, über den sie sich bewegen.

Der Hang zur Vergegenständlichung und zur Vermenschlichung.

Wer Zeit zu verlieren meint, ist der Illusion erlegen, er hätte sie besessen.

Weg sein war mir immer wichtig, wichtiger als da sein. Jetzt beginnt sich das mehr und mehr umzukehren. Ich bin jetzt lieber da als weg.

Die Nacht war merkwürdig still gewesen, selbst für ländliche Maßstäbe. Sie hatte sich angefühlt, als ob die Welt ausgestorben sei. Nichts schien sich zu bewegen. Einzig ein leiser Regen war vernehmbar gewesen und ein zarter Windhauch zu spüren, der ihm ebenso zart zu verstehen gab, wo sein Platz war.

Gott, wenn ein musikalischer Gott, ist alles andere als monoton, aber auch alles andere als polyphon.

”Teiresias”, frage ich, ”was ist eigentlich Dummheit?” Und er: ”Dummheit ist Denken und vor allem Handeln wider besseres Wissen, im Gegensatz zur aus welchen Gründen auch immer erworbenen oder widerfahrenen Dummheit, für die man nichts kann, und die man auch nicht Dummheit nennen sollte, sondern (geistig-seelische) Einschränkung.”

Zweifle nicht zu sehr an dir, mach’ einfach! Aber mach’ es dem Prozess zu Liebe und schiele nicht auf irgendwelche Aussichten, erscheinen sie auch noch so verlockend!

Bildnerische Mittel führen ein Eigenleben, das sich nicht immer reibungslos mit den Ambitionen inhaltlicher Aussagen und Zusammenhänge decken muss. Als Bildender Künstler stehe ich vor der Herausforderung beide Aspekte möglichst nah zueinander zu bringen.

Das größte Problem von Sprache ist, sich verständlich zu machen.

Gesellschaftliche Relevanz des Augenblicks: es sei doch einzusehen, dass man durch sein Dasein andere gefährde, und dass andere einen selbst durch ihr Dasein gefährdeten. Im Zentrum gesellschaftlichen Zusammenseins stünde dieses Gefährdungspotential, das man vor allem jetzt irgendwie und um jeden Preis in den Griff bekommen müsse. Zum Beispiel mittels Distanz schaffender Maßnahmen. Unbefangenes Begegnen, gar mitmenschliche Nähe stünden auf dem Prüfstein. Sie seien nicht uneingeschränkt gut zu heißen. Eigentlich störe der Mensch an sich, aber um den käme man halt nicht herum, sei er mal da.

Die Gefährlichkeit unvorhersehbaren Daseins.

Schöne Frauen sind gefährlich und in der Liebe selten ehrlich, reimt Teiresias. Sie können sich das nicht leisten, um ihrer Schönheit willen. Aha, sage ich skeptisch, da bist du ja auch der große Experte. Ja, durchaus, antwortet er fachmännisch, ich kenne ja die Folgen. Helena, zum Beispiel, eine wunderschöne Frau, schöner noch als Aphrodite, die Göttin der Liebe. Einfach unerreichbar. Und was haben sich für Männer um sie bemüht, wie besessen von ihr. Und dann führten sie ihretwegen sogar einen zehnjährigen Krieg, der vielen Menschen das Leben kostete und eine ganze Metropole vernichtete. Für Helena war das alles nur ein netter, selbstverliebter Zeitvertreib mit ihr im Mittelpunkt.

Ein elegant gekleideter, junger Mann, das Jackett lässig im Arm, bleibt vor einem Schaufenster stehen, zieht mit einer geschmeidigen Bewegung sein Jackett an, überprüft dann den Sitz seiner Krawatte und zupft das dreieckig in der Jackettbrusttasche steckende Tuch zurecht. Nach einem abschließenden, so selbstbewussten wie selbstverliebten Blick auf sein Erscheinungsbild betritt er das hinter dem Schaufenster befindliche Friseurgeschäft.

Eine weit verbreitete Einstellung zum Leben, vor allem dort, wo man sich das leisten kann: der Mensch soll auf gar keinen Fall sterben. Da diese Einstellung aber unhaltbar ist, lautet die leicht veränderte Devise: der Mensch soll möglichst lang nicht sterben müssen.

Lohnenswert (gern auch in künstlerischer Hinsicht), aber schwierig zu realisieren: alles Bemühen zu lassen, tun, als ob es keines Zugriffs bedarf, kurz und knapp: machen ohne zu machen.

Dramatisch ist die Aussicht auf den Tod, tragisch (zuweilen), wie er zustande kommt.

Er war immer ein guter Esser (und zum Glück ein guter ”Futterverwerter”). Man hatte ihm in jungen Jahren - vermutlich aus Ahnungslosigkeit - beigebracht, seelischen Hunger mit Essen und Trinken zu stillen. Butterstullen als Trostpflaster. Obwohl, das Brot war meist frisch und knusprig, die Butter dick darauf verteilt, vom Malzbier ganz zu schweigen.

Besteht nicht das Leben auch darin, herauszufinden, welches Maß an Übermaß man sich und seinem Körper zumuten kann?

Geduld ist eine Tugend derer, die mit sich selbst wenig bis gar keine Schwierigkeiten haben, also in sich ruhen.

Vergangenes lernt man im Spiegel der Moderne, Modernes im Spiegel des (möglicherweise weit) Zurückliegenden schätzen.

Manche Ansichten können nicht zur Deckung gebracht werden. Zum Beispiel die sich klar umrissen vom Horizont lösende, rötliche Sonnenscheibe heute Morgen mit dem Bild eines gigantischen, flüssig-glühenden, eruptiven Feuerballs im Zentrum unseres Planetensystems. Trotzdem ist beides wirklich, einmal in eigener Anschauung, einmal medial vermittelt.

Liebesbriefe hat er nie geschrieben. Nicht, dass er keine Frauen gekannt hätte, denen er hätte schreiben können. Nein, ihn hielt die Sorge ab, das in Liebeshingerissenheit voreilig Geschriebene hätte sich überholen können und wäre dann, obwohl unwahr geworden, nicht mehr rückgängig zu machen gewesen.

Die Frau, die nicht länger Objekt der Mannesbegehrlichkeit sein möchte, und der Mann, der sich freuen würde, könnte er Subjekt weiblicher Lust sein.

Wenn man klar und deutlich eingeladen wird, und muss dann feststellen, kommt man froh gestimmt der Einladung nach, dass man nicht willkommen ist.

Noch mal ganz von vorne anfangen, alle fest gefahrenen Lebensumstände hinter sich lassen, sage ich mir, und höre Teiresias antworten: hab’ nur Geduld, es wird nicht mehr ewig dauern, bis du wieder von vorne anfangen kannst.

In der Unterwelt, erzählt er mir dann, gäbe es eine spezielle Lounge für Rückkehrwillige, ein weitläufiger Wartebereich mit bequemen Sitzgelegenheiten und Drinks nach Belieben. Den hätten er und seine Kumpane Reinkarnations-Boudoir getauft. Da säßen solche wie ich und würden sich aus freien Stücken quälen. Sie wüssten ja nicht, wann sie dran kämen, ob sofort oder erst in einer halben Ewigkeit. Und wer wartet schon gerne, selbst wenn er bequem sitzt?

Was man zum ersten Mal wahrnimmt, nimmt man nie mehr so wahr wie beim ersten Mal. Nachfolgend befindet man sich im Vervollständigungsmodus, das heißt: man ist ernüchternd damit beschäftigt, sein Bild abzurunden und der vergehenden Zeit dabei zuzusehen, wie sie ihr Urteil darüber fällt.

Teiresias nach hat jedes Weltbild Untiefen. Der Mensch ist nicht in der Lage, sie voll und ganz auszuloten. Er muss froh sein, wenn er nicht auf Grund läuft.

Erkenntnisgrenzen bestehen nur für Menschen, die nicht erkennen wollen, aus welchen Gründen auch immer. Wer aber erkennen will, gerät unweigerlich in ein schwieriges bis unmögliches Verhältnis zum Glauben, welches Inhalts auch immer.

Kann es so etwas wie Glaubenserkenntnis geben? Oder Erkenntnisglaube?

An eine Erkenntnis kann man nur glauben, solange man sie nicht hat. Hätte man sie, wäre der Glaube überflüssig. Dagegen ist Glaube nur zu erkennen, wenn man glaubt. Glaubt man, stellt sich die Frage nach Erkenntnis nicht (mehr).

Da ich zweifeln kann, kann ich auch hoffen. Wenn ich aber hoffe, guckt mir der Zweifel über die Schulter.

Teiresias meint: bewusstes Handeln verlangt Reduktion, umständehalber.

Teiresias’ Naturverbundenheit. Ein Garten in der Schwebe zwischen Wildwuchs und geordneter Pflege. Seit er sein kleines Blumenbeet bestellt in meinem Garten, arbeitet er eifrig darauf hin (mit meiner Erlaubnis wohlgemerkt).
Er wisse nie so recht, klagt er, was er entfernen, was er wachsen lassen soll (was ich zugegebener Maßen auch nie weiß). Gut, dem Efeu müsse er Einhalt gebieten (da bin ich der gleichen Meinung), der würde sonst den ganzen Garten überwuchern. Aber das weißblühende Springkraut zum Beispiel, das sich in diesem Jahr malerisch über das Grundstück ausgebreitet hat. Handelt es sich da um ein Gewächs, das den Garten bereichert oder eher verunziert? Er käme nicht dahinter, also lasse er es stehen (hätte ich auch so entschieden). Außerdem blühe es außerordentlich lang, sehr zu seiner Freude. Was für ein Glück, dass es diesen gepflegt-ungepflegten Gartens gäbe. Fast ein Stück unberührter Natur.
Dass ich hinter seinem Rücken immer ein bißchen nachhelfe, da etwas setze, dort etwas auslichte, verrate ich ihm natürlich nicht. Vermutlich weiß er es, wie so Vieles, das er weiß, ohne dass ich es weiß.

Zu klein bin ich für die Welt. Nicht mal ein Bruchteil von ihr passt hinein in mich. Winzig, wie ich bin, begnüge ich mich mit Winzigkeiten, was mir nichts ausmacht. Das Unsichtbare zählt, das in all der Fülle Verborgene. Und das passt überall hinein, sogar in mich.

Die entscheidenden Kleinigkeiten im Leben kommen zu dir, meint Teiresias, du musst sie nicht suchen.

Das eigene Leben in Akkorde fassen. Durchlaufene Skalen aufmerksam verfolgen und Passendes zu Einklängen formen. Was für eine Musik, Lebensmusik, jeden Moment anders tönend.

Das brandaktuelle Wort Katastrophentourismus: Schaulustige eilen smartphongeleitet an den Ort der Katastrophe, um sich am Ausmaß der Zerstörung und am Unglück Betroffener zu weiden.

Jeden Grund, der mir erlaubt, meiner geistigen und körperlichen Trägheit Gutes zuzuschreiben, heiße ich willkommen. Gäbe es keinen mehr, gingen mir die Argumente aus.

Der Sinn einer einmaligen Anschaffung ist, dass sie einmalig bleibt. Das Problem dabei: wie sich im Vorfeld hieb- und stichfest von ihrer Einmaligkeit überzeugen? Ist auch nicht so wichtig, denn einmalige Produkte, also Produkte, die man sich nur einmal im Leben zulegt, gibt es heute so gut wie nicht mehr.

Den eigenen Träumen zu Liebe sage ich in der Regel weniger als ich sagen könnte, aber auch nicht mehr als ich sagen muss.

Anpassungsverhalten ist ansteckend, Rebellentum eher nicht, sagt Teiresias, sonst gäbe es mehr Aufbegehren im Land.

Was soll man machen, wenn man nichts tun kann, außer, dass man nichts tut? Kann Nichtstun möglicherweise auch etwas anderes sein als Müßiggang (hier als Faulenzerei gemeint)?

Steif bin ich und ungelenk. Noch macht mich der Tag nicht geschmeidig.

Biegsam bin ich und beweglich. Des Tages Mühe hat sich wieder mal gelohnt.

Von der eigenen Befindlichkeit zu sprechen, ist eine heikle Sache. Man tut da des Guten (Schlechten?) gern zu viel, erst recht, wenn man in die Jahre kommt. Vor allem Jüngere wollen speziell von Klagen des Alters wenig bis gar nichts hören. Sie geben ihnen ja, wenn auch gar nicht beabsichtigt, einen Vorgeschmack auf ihr eigenes, zukünftiges Altsein.

Warum nicht eine Einstellung leben, die mit Politik rein gar nichts zu tun hat. Am Ende stellt sich gar heraus, dass sie im gesellschaftlichen Kontext politisch wirkt.

„Der Fall“ von Albert Camus. Eine Existenz resümierende Beichte, ein zynischer Bericht. Pflichtlektüre für Männer.

Ein, wenn nicht das politische Grundgefühl: kaum Einflussmöglichkeiten und Hinnahme von Zuständen, die eigentlich nicht hinzunehmen sind.

Ich bin ganz zufrieden damit, dass ich kein ausgeprägtes Nationalgefühl besitze. Keinesfalls leide ich darunter. Auch dass ich besonders global eingestellt wäre, kann ich nicht sagen. Ich glaube, ich bin Fan einer Welt, die den Bezug zum Paradies noch nicht ganz verloren, bzw. zwischenzeitlich wiedergefunden hat.

Ein wenig mehr praktizierte Ethik, meine Damen und Herren, und ein bisschen mehr ästhetisches Empfinden!

Ethisches Handeln wäre vor allem eine Aufgabe der Gut-Situierten, die sich nicht (mehr) ums tägliche Brot sorgen müssen, sagt Teiresias, aber gerade die tun sich damit schwer.

Totalitäre Strukturen entwickeln sich auf ethischen Defiziten Einzelner.

Ich male schlicht und ohne Hintergedanken. Nichts bleibt im Verborgenen, alles ist sichtbar.

Ich besitze noch zu viel. Ich kann mich immer noch nicht von Nochzuvielem trennen. Ungemein besitztragend komme ich mir vor, längst gebeugt unter dieser Last und kaum noch zu einer Regung fähig.

Ich möchte gern Fortschritte machen. Doch wenn ich welche machen will, geht’s nicht recht voran. Mein Wille steht mir im Weg. Daraus schließe ich, dass das beste Fortschrittsmittel für mich ist, nicht fortschreiten zu wollen. Warum dem Fortschritt nicht die Wahl lassen, wann und wie er sich einstellen will, und ob überhaupt? Andere sagen mir, das sei Unsinn. Nicht fortschreiten wollen, wie soll das gehen? Das hieße ja, das eigene Leben anzuhalten. Aber ich halte standhaft an meiner Strategie fest. Ich biete dem Fortschrittszwang in mir entschlossen die Stirn. Ich lasse ihn links liegen (weil ich Linkshänder bin). So einfach ist das und kann fortschreitender Weise Wunder bewirken.

Manchmal komme ich mir im Umgang mit anderen wie ein Fassadenkletterer vor, der ein offenes Fenster sucht, durch das er einsteigen könnte (um unerlaubter Weise einen Blick hinter die Fassade zu werfen).

Niemand kann von mir verlangen, dass ich ihn hinter die Kulissen schauen lasse. Das wäre nun wirklich zu viel verlangt.

Den Menschen geht ab, meint Teiresias, ihre technischen Fortschritte einer tieferen (weil ethisch sinnvollen) Sinnhaftigkeit zu unterstellen.

Ruhig ein wenig langsamer tun, sage ich mir. Nicht sofort auf und davon, sollte sich wider Erwarten Stille breit machen und laut werden. Aber die vielen, lohnenswerten Ziele?

Bist du erwartungslos, spielt Zeit keine Rolle. Jede ist grad recht wie die andere, sagt Teiresias.

Gestern hat er übrigens mal wieder gekocht. Tags zuvor der übliche, sehr kritische und darum etwas heikle Einkauf. Hammelfleisch beim Metzger. Auf dem Markt dann das Hin- und Hergelaufe, bis die richtigen Auberginen und Zucchini gefunden waren (er ist halt wählerisch). Aber, das muss ich zugeben, seine kulinarische Umsicht hat sich gelohnt. Abends dann stand ein randvoller, dampfender Römertopf auf dem Tisch (wobei ich Teiresias gegenüber nie von Römertopf spreche; Römer sind für ihn Barbaren). Darin ein vorzügliches, stark gewürztes Ragout. Rosmarin und Oregano aus dem Garten. Auch Brot hat er gebacken, das Fladenbrot seiner weit zurückliegenden Kindheit. Dazu servierte er einen ungewöhnlich wilden Wein, der den Gaumen beerig verwöhnte und gut mit der aromatischen Speise harmonierte. Insgeheim fragte ich mich, wo er den wohl her hatte. Aus meinem Vorrat jedenfalls nicht.

Aus menschlicher Sicht (gibt es eine andere?) kann Gott weder barmherzig, noch grausam sein. Diese Zuordnung von Eigenschaften würde ihn festschreiben, während doch gerade Unbestimmbarkeit sein Merkmal ist.

Dass Götter nicht zu erkennen sind, kann man so nicht sagen, hakt Teiresias ein. Bei uns badeten alle Götter im Licht der Erkenntnis und wir mit ihnen. Verborgen blieb da kaum etwas.

Ach, seufzt Teiresias, da wähnen sie sich im siebten Himmel und wundern sich, wenn sie aus allen Wolken fallen.

Es gibt überhaupt nichts dagegen einzuwenden, dass auch Männer Tränen vergießen, aber bitte nicht, wenn’s brenzlig wird.

Das Zusammenleben mit Genies ist für Nicht-Genies selten amüsant und für Genies nicht auszuhalten.

Nur wenn ich mich gehen lasse, geht es mir gut. Reiß ich mich zusammen, zwickt’s an allen Ecken und Enden. Aber das weiß niemand und ich werde mich hüten, es jemandem zu verraten.

Erst nach dem Tod wird es einem wirklich gut gehen. Die Horrorgeschichten über die Hölle waren und sind nur dazu da, die Menschen im Hier und Jetzt bei Laune zu halten.

Das Gerede über Diesseits und Jenseits ist doch alles ”Kappes”, lacht Teiresias. Es gibt nur eine Welt, und die kommt und geht, und mit ihr der Mensch als Teil der Welt. Kommen und Gehen, das sind die Fakten, Diesseits und Jenseits, das ist Spekulation.

Wenn man kommt, hat man nichts. Wenn man geht, sollte man ebenfalls nichts haben.

Er ist immer stärker, als in Wirklichkeit. Das hat man ihm beigebracht. Nun arbeitet er daran, immer schwächer zu sein, als er ist. Irgendwann, denkt er sich, müssen Stärke und Schwäche sich die Waage halten.

Man ist so stark, wie man schwach ist, und umgekehrt, meint Teiresias. Das vermeintlich Schwache kann so stark sein, wie das vermeintlich Starke schwach.

Zum Beispiel Gott als das Bedürfnis, ohne Gott nicht auskommen zu können. Aber, kann man ohne dieses Bedürfnis überhaupt leben? Kommt man gar nicht umhin, weil man lebt, dieses Bedürfnis zu haben?

Teiresias lacht und prostet mir zu: Jenseits ist wie die Nacht, die du traumlos verschläfst. Schwups die Augen zu, schwups die Augen auf. Und dann geht alles von vorne los.

Kritikfähig bin ich selten. Meine Neigung, Kritik als Chance zu positiver Veränderung aufzufassen und anzunehmen, tendiert gegen Null.

In seinem Buch ”Tiefenstrukturen von Volk und Nation” habe er akribisch beschrieben, warum Deutschland keine Nation sei und Föderalismus deutscher Prägung nichts anderes, als die Fortführung früherer Kleinstaaterei, verrät mir der gut gekleidete Mitvierziger, der mir in der Lounge gegenübersitzt und mich seit einer Stunde bei Bier und Knabberzeug so absurd wie faszinierend politisch beschwatzt.

Die Sehnsucht nach einer Heimat, die es nicht gibt, zumindest in dieser Welt nicht, und, wer weiß, wo überhaupt.

Sommerzeit, aktuell: Morgens ziehe ich ein kurzärmeliges Hemd an, um dann später zu bemerken, dass es dafür zu frisch ist. Darauf wechsle ich zu T-Shirt, Langarmhemd und Pullover, um nach einiger Zeit ins Schwitzen zu geraten.

Ich sitze um 6 Uhr 30 morgens bei Kunstlicht. Den vor mir liegenden Text könnte ich sonst nicht erkennen. Ich wähne mich bereits im Herbst, habe auch - dieser Jahreszeit entsprechend - einen Wollpulli übergezogen. Der sommerfernen Frische geschuldet, halte ich mich mit mediterraner Küche warm und bei Laune.

Leben in Zeiten klammheimlicher Selbstzensur. Aber jeder kann sagen, was er will.

So nebenbei bemerkt, teilt mir Teiresias mit, sei das Leben im Grunde genommen nichts anderes, als ein vorübergehender Verdauungsprozess, zart beginnend, zart endend.

Man versucht so gut es geht - mehr recht als schlecht - den Kindern beizubringen, sich in der Welt zurechtzufinden. Dabei sollte man ihnen sagen: lasst die Finger weg, geht ins Kloster oder in den Wald!

Du hast ja keinen Schimmer, zu was ein Kloster heutzutage fähig sein muss, um Kloster sein zu können, und vom Wald hast du erst recht keine Ahnung, höre ich Teiresias im Hintergrund murmeln.

Man lebt immer auf Kosten derer, die Geld haben. Die Frage ist nur, wer DIE sind.

Wenn du heutzutage einen Abstecher in die Unterwelt machen willst, zum Beispiel im Rahmen einer Kreuzfahrt, musst du Eintritt bezahlen, und nicht wenig. Eine Audienz bei Hades und Persephone kostet extra. Dabei weißt du noch nicht einmal, ob du zurückkommst, und wenn, ob heil, aber das weißt du ja bei keiner Kreuzfahrt.

Auch heute sage ich mir wieder mit Nachdruck, Leben macht Spaß, und bin mir nicht so ganz sicher, ob es sich dabei nicht um eine Übertreibung handelt.

Die Würde des Menschen ist antastbar, vor allem durch Geld.

Man schiebt körperliche wie seelische Unleidlichkeiten gern unguten Einflüssen zu, wie Ernährung, Alkohol, unpassende Lebensführung überhaupt, eilt besorgt von Arzt zu Arzt, aber dann ist es nur die Last der Jahre, die den Körper, und damit Geist und Seele drücken, was einem auch nicht weiterhilft.

Rede ich übers Alter, beschleicht mich sofort das Gefühl, ich dürfte das gar nicht, ich würde mich da über etwas auslassen, worüber mir ein Urteil nicht zusteht. Dabei bin ich offiziell Rentner, ein ziemlich jung gebliebener anscheinend, wenn’s da nicht hier und dort zwicken würde.

Teiresias meint, man müsste sein Alter tragen, wie man Kleidung trägt, passend zum Anlass. Das gelänge am besten, wenn man sein Alter vergisst.

Seine Disziplin schreit zum Himmel. Noch dem Unsinnigsten widmet er sich mit Akribie. Worum es geht, spielt keine Rolle. Hauptsache er kann machen, und machen, das kann er gut.

Ich hänge nicht am Besitz, aber ich bekomme jedes Mal ein mulmiges Gefühl, wenn ich mir vorstelle, dass nichts bleiben wird, nicht mal ich.

Menschen ohne Standpunkt sind so ähnlich wie Menschen mit Prinzipien, man kann sie nicht treffen.

Als er noch ein Kind gewesen war, habe man in seinem Beisein geäußert, dass aus ihm nichts Rechtes werden würde. Das habe ihn damals sehr getroffen. Noch mehr aber treffe ihn, dass man damals Recht gehabt hat.

Man wird immer etwas, äussert Teiresias, die Frage ist nur, was, aber das spielt im Grunde genommen auch nicht die große Rolle.

Mein Kaffee dampft aus der Tasse. Es scheint doch kühler zu sein, als ich es empfinde. Aber ich bleibe draußen sitzen in der feucht-kühlen Frische dieses Morgens zwischen vereinzeltem Insektengebrumm und zurückhaltender gewordenem Vogelgetön.

Ich bin immer wieder erstaunt, dass ich meine Werke anders betrachte (und einschätze) als Außenstehende. Wahrscheinlich ist das normal. Aber die Einschätzung, was andere als gelungen betrachten und was ich, divergiert zuweilen. Nicht nur ich selbst kann betriebsblind sein.

Neulich im Zug ein Mann zu einem anderen: Was die da oben machen, interessiert mich einen Dreck. Die tun sowieso, was sie wollen, ob mir das passt oder nicht. Ich konnte nicht umhin, mir zu sagen, dass dieser Mensch so unrecht nicht hat mit seiner etwas platten Einschätzung. Stammtischparole mit wahrem Kern.

Einer hat viel und ist unzufrieden. Ein anderer hat wenig und ist zufrieden. Daraus ist zu schließen, dass Zufriedenheit mit Haben wenig bis nichts zu tun hat.

Ein wenig mehr grundsätzliche Würdigung künstlerischer Ergebnisse, fernab geschmacklicher Vorlieben und unscharfer Beurteilungen, reichend von feuilletonistisch-beredter Kunstkritik bis zu laienhafter Geschmacksferne.

Lobt jemand seine Arbeit, irritiert ihn das. Wird seine Arbeit kritisiert, irritiert ihn das auch. Am besten keiner sagt etwas. Aber das ist ihm auch nicht recht.

Amseln, obwohl Nichtschwimmer, wissen ein Bad durchaus zu schätzen, berichtet mir Teiresias, der sich ein stilles Plätzchen im Garten gesucht hat, wo er stundenlang ausharrt und aufmerksam alles verfolgt, freudestrahlend.

Ich hänge nicht am Landleben, ich wohne auf dem Land. Das hat sich so ergeben. Ich würde viel lieber in der Stadt leben, aber das kann ich mir nicht (mehr) leisten, wenn ich mir das ein oder andere leisten will, neben Kost und Logis.

Wer wo hingehört, ist meist eine Frage der Finanzen, sagt Teiresias, die Nase im Anzeigenteil der Zeitung, wie das Leben überhaupt eine Frage des Geldes ist, vom Wesentlichen mal abgesehen.

Man sollte sich nicht nur des Lebens wegen pflegen. Auch der Tod hat persönliches Gepflegtsein verdient. Man muss ja nicht völlig verlottert drüben ankommen.

Wenn einer genug hat und sich ständig darüber beklagt, was ihm alles fehlt.

Ich liege im Sand und drehe Däumchen. Mein Körper saugt die Sonne auf wie ein Schwamm Feuchtigkeit. Auf meiner Stirn ein Schmetterling.

Er sehnt sich nicht zurück. Kein Ort, kein Platz, an dem er jetzt, aktuell, wieder gern sein würde. Die Orte der Vergangenheit und mit ihnen ihre Zeiten und ihre Menschen sind der Vergangenheit anheim gefallen, mehr oder weniger schöne Erinnerungen. Übrigens möchte er überhaupt nirgends sein, immer nur dort, wo er nicht sein kann.

Das Sinnvolle ist nicht immer das Hilfreiche und das Hilfreiche nicht immer sinnvoll, meint Teiresias.

Der rechte Zeitpunkt ist lebensbestimmend und kann lebensrettend sein.

Wenn ich im voraus wüsste, welches die besten Stunden sind, ich würde mir jeden Tag die besten reservieren. Aber welches sind die Besten? So nehme ich mir einfach Zeit und die guten Zeiten in Kauf.

Ganz nebenbei flüstert mit Teiresias ins Ohr: ”Wer keine Geschichten kennt, hat auch nichts zu erzählen.”

Wer das Leben für stabil hält, macht es sich zwar erträglicher, erliegt aber einer Täuschung, die, trotz ihrer Unschärfe, so etwas wie Existenzkontinuität herstellt. Wie sollte man auch etwas schaffen können, unter der anhaltend drohenden Aussicht auf Verlust? Oder ist es gerade diese dramatische Einbruchsmöglichkeit, die das „Dennoch“ kreativen Handelns begründet?

Das ist menschlich und nur menschlich, sagt Teiresias, dass der Mensch allein sich zum Leben bekennen muss, wenn er leben will, inklusive seines Lebensendes. Verweigert er dies, muss er sich logischerweise aus der Welt schaffen, auf irgendeine Weise, wozu nur wenige bereit und in der Lage sind.

Nach wie vor bemühe ich mich zu lernen, auf Situationen angemessen zu reagieren. Aber zwischendrin fällt mir einfach nichts ein. Da hilft dann nur eine mal mehr, mal weniger passende Konvention.

Konventionen sind dazu da, Leere zu überbrücken. Bevor man hineinstürzt, redet man lieber über das Wetter.

Wenn du Pech hast im Leben, sagt Teiresias, musst du zu Diensten sein. Die Meisten haben Pech. Man wundert sich, was da alles Gelungenes zum Vorschein kommt.

Man kann sich natürlich immer und überall über alles und jedes lustig machen. Übernimmt man aber Verantwortung, ist es mit dem Spaß vorbei. Deshalb lebe ich grundsätzlich und gänzlich verantwortungsfern.

Improvisation als Fähigkeit aus jeder Situation etwas zu machen. Dazu muss man allerdings eine gewisse Reihe an Situationen durchlaufen haben (je mehr, desto besser), in denen man zunächst einmal nicht wusste, was zu tun gewesen wäre.

Manchmal fehlen halt die Worte, Töne, Farben, Formen, sagt Teiresias. Wenn es dumm kommt, wird daraus ein Hänger. Am besten man bleibt im Fluss.