„Eingeschrieben in Spuren der Zeit
Über Bildobjekte von Achs FisGhal“
Lutz Bolinius in „Kreuzungen“ Katalog zur gleichnamigen Ausstellung
Pfarrkirchen 2004


Begegnung mit Kunst erzeugt die Möglichkeit eines Erlebens von Gegenwärtigsein, in der lebendigen Atmosphäre eines Innehaltens, wacheren Anschauens und Empfindens, im Wechsel von Wahrnehmen und Nachsinnen. Dazu können die künstlerischen Arbeiten von Achs FisGhal anregen und herausfordern in ihrer sinnlichen, materialen Präsenz und ihrer vielschichtig erscheinenden Bildsprache.

Für das Ausstellungskonzept "Kreuzungen" in Pfarrkirchen hat Achs FisGhal drei Themenbereiche seiner künstlerischen Arbeit ausgewählt, wobei die Bildobjekte, gesehen über die vielen Jahre des Schaffens, den weitaus größten Raum einnehmen. Diesen Arbeiten fühle ich mich sehr verbunden, sie haben mich zum Staunen gebracht, haben Fragen aufkommen lassen, denen ich wesentliche Einsichten verdanke im Verstehen künstlerischer Prozesse und deren bildhafter Verwirklichung.

Die Bildobjekte lassen sich stilistisch nur schwer in etwaige zeitgenössische Richtungen der bildenden Kunst einordnen. Im Hinblick auf die Entwicklung der künstlerischen Moderne ist die Einbeziehung von Schrift ins Bild eine um 1911 vom Kubismus ausgehende und über den Futurismus und der Dada-Bewegung hinausreichende Tradition und auch heute als künstlerisches Ausdrucksmittel vielerorts anzutreffen. Die Bildobjekte von Achs FisGhal zeigen demgegenüber eine eigene Formensprache und weisen auf andere inhaltliche Zusammenhänge. Über viele Jahre hindurch habe ich seine künstlerische Entwicklung wahrnehmen und dabei verfolgen können, mit welcher Konsequenz er an seinen Themen gearbeitet hat, ohne sich von Modeströmungen beeinflussen zu lassen. Mittlerweile hat er eine Werkgruppe geschaffen, die in ihrer Ausdrucksvielfalt einzigartig ist.

Augenfällig ist der wiederkehrende fragmentarische Charakter der Bildobjekte. Schon in frühen Phasen seines künstlerischen Werdeganges hat Achs FisGhal die Ränder seiner Bildflächen beschnitten, gerissen, teilweise abgebrannt, bis hin zu eher amorphen Umrissen, und diese Ausdrucksform (auch im Hinblick auf inhaltliche Variationen) bis heute beibehalten. In gleichem Maße bedeutsam ist der mehrfach geschichtete Bildaufbau, der verschiedene Stadien der Überarbeitung und auch der Zerstörung durchläuft und Zufälligkeiten in den Schaffensprozess einbezieht. Die Verwendung von Zahlen, Schriftzeichen und Buchstaben hat im Laufe der Zeit einen immer größeren Raum eingenommen, in enger Beziehung stehend zu Studien über die Entstehung und Geschichte der Schrift und der etymologischen Herkunft heute gebräuchlicher Worte.

Die künstlerische Verfahrensweise selbst ließe sich als eine Art Spurensuche beschreiben, in einem Schaffensprozess, der so lange wie möglich offen gehalten wird. Zufall und Zerstörung sind Strukturelemente dieses Prozesses, das eigentliche Negative der Zerstörung erfährt aber auch ein Umschlagen in positives Werden. Im allmählichen Verdichten und durch etliche Wandlungen hindurch gestaltet sich das Bild heraus, einem organischen Entwicklungsgeschehen verwandt. Das Bild erwächst wie ein unvorhersehbares Ereignis und beginnt für den Künstler zu sprechen, als würde das schöpferische Tun Antwort finden im jeweils geschaffenen Gegenüber. Der Bildgrund wird eine Zeit lang zum dialogischen Daseinsgrund selbst.

Immer wieder beeindruckend ist die starke sinnliche Unmittelbarkeit, die Wahrnehmungsfülle in ihrer dynamischen Erscheinung, die einem beim Anschauen der Bildobjekte begegnet. Zudem die erlebbare Spannung zwischen dem Bild- und Objekthaften der Arbeiten. Man kann ahnen, wie sehr sich der Künstler mit seiner Bildmaterie auseinandersetzt (die in allen Arbeiten eine hohe Qualität aufweist), wie sehr er auch darum ringt, die verschiedenen Ausdrucksmittel zu einer Bildeinheit zusammenzuführen. Neben den oft brüchig erscheinenden Umrissen wirken Farben, Schriftbilder und Zeichen, zudem die plastische Bildstruktur. In Zahlen und Buchstaben klingt ein Identifizierbares an, um aber sofort wieder zu verlöschen. In einer rätselhaften Schwebe sprechen sie eine enthüllende, andererseits aber auch eine verhüllende Sprache.

Oft habe ich den Eindruck gehabt, als würden in den Bildfeldern ordnende, auch erstarrende und chaotische (vitale) Kräfte miteinander ringen und Ausgleich suchen. Pulsierende, mitunter eruptiv wirkende Farben sich auflehnen gegen eine eher richtungweisende Klarheit von Zahlen, Zeichen und Buchstaben. Dazu in den Bildgrund eingearbeitete geometrische Felder, die Ordnungsgefüge anschaulich machen. Diese Ausdrucksfülle erzeugt einen sinnlichen Zauber, der begeistern, aber auch beunruhigen kann. Zeigt sich eine beginnende Schöpfung oder eine beginnende Auflösung? Beides erscheint möglich.

Ein mehr fragendes Sehen kann Irritationen erfahren. Die verschiedenen Ausdrucksebenen erzeugen jeweils auch eigene Sinnschichten. Farben wirken völlig anders als Zahlen oder Buchstaben, auch wenn das Bild als Ganzheit zu erleben ist. Worte und Buchstaben provozieren Lesbarkeit, der plastische Bildgrund dagegen eine Art visuelles Tasten. Anschauungsinhalte und auf Wissen bezogene Inhalte wirken ineinander oder gegeneinander, und ich glaube, dass diese Durchdringung unterschiedlicher Bild- und Sinnebenen die Faszination erklärbar macht, die von diesen Arbeiten ausgeht. Vielmehr als von einem Wissen wird man von Ahnungen geleitet im Mit- und Nachfahren der anschaulichen Entdeckungen, die als Spuren in die Bildobjekte eingeschrieben sind.

Wenn Kunst im Zusammenhang mit gelebtem Leben aufzufassen versucht wird (im Verständnis existentieller Nähe und Durchdringung, wobei Bildspuren den Charakter von Lebensspuren annehmen), können bildliche Ausdrucksweisen ein über das reine Anschauungserleben hinausgehendes Gewahrwerden ermöglichen. Die in vielen Bildobjekten vorkommenden hieroglyphenartigen Schriftzeichen könnten auf eine weit zurückliegende Vergangenheit, auf Anfänge und Ursprünglichkeit hinweisen, auf einen funktionalen Ort der Geschichte. Bestimmte Buchstaben könnten Symbolcharakter annehmen (steht A für Arche, was Anfang bedeutet, oder etwa für den Anfangsbuchstaben des eigenen Künstlernamens?). Soll Ursprünglichkeit auch auf unseren eigenen menschlichen Ursprung deuten? Und bilden Buchstaben und Schriftzeichen demzufolge eine Art Gedächtnisspeicher, im Sinne eines bewahrenden Bewusstseins und eines Wissens, das uns verloren gegangen sein könnte? Erleben wir Menschen uns in solch großen Zeitdimensionen, im Strom eines stetigen Werdens und Vergehens, in der unausweichlichen Eingebundenheit von Leben und Sterben (ein Titel der Bildobjekte heißt thanatos, das altgriechische Wort für Tod)? Wir haben kein eindeutiges Wissen darüber, vielleicht Ahnungen eines wesenhaften Seins jenseits der Unberechenbarkeit flüchtiger Erscheinungen. Wer fragt danach, ob der Blick auf verschüttete oder verborgene Ursprünge freigelegt werden kann?

Es ist sicher möglich, sich den sinnbezogenen Ausdruck der Bildobjekte auch ähnlich einer mythischen Erzählweise vorzustellen, die in chronologischer Abfolge immer wieder neu ein Unbekanntes lesbar macht. Als Prozess von Verdichtungen und Verdunklungen, deren Chiffrensprache nie ganz zu entschlüsseln ist. Ebenso könnte man aus der empfundenen Fülle und Dichte etlicher Arbeiten an kultische Tafelbilder erinnert werden, die zu einer meditativen Betrachtung anregen. Ich erlebe den möglicherweise kontemplativen Gestus mancher Bildobjekte aber nicht vordergründig im religiösen Sinne, auf einen Glauben bezogen, sondern weisend auf Ursprünglichkeit der Erfahrung, die auch außerhalb eines religiösen Zusammenhanges ihre Geltung beanspruchen kann. Die Bildobjekte von Achs FisGhal, zumindest für meine Auffassung, wollen lebensweltlich, existentiell wirken und dabei an die Autonomie des Anschauens und Erlebens selbst appellieren und zum Ausdruck bringen, dass eine schöpferische Kunst auch zu einem schöpferischen Dialog führen kann.

Und besonders hierin sehe ich einen wichtigen künstlerischen Beitrag von Achs FisGhal, dessen Arbeiten in einer sinnlich-metaphorischen Sprache zeigen, dass die Wirklichkeit nicht abgeschlossen ist, ihr Kern vielmehr einer fortdauernden Veränderlichkeit unterliegt und ein stetiger, zu keinem absoluten Ende führender Prozess ist. Die künstlerische Botschaft vermittelt andere Formen eines anschaulichen Bewusstseins, in einer Gegenwart, die uns Menschen immer weniger Raum für ursprüngliche Erfahrungen lässt und von der Möglichkeit eines authentischen und wahrhaftigen Selbstentwurfs immer weiter entfernt.

Kunst ist immer schöpferisch, und auch Sehen kann erschaffen heißen, im Vermögen, einer vorhandenen Freiheit ein Gesicht zu geben.

Lutz Bolinius im November 2003



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