Kunst ist Kunst durch Kunst


Der Gestaltungsakt ist ohne Notwendigkeit gedanklicher Reflexion. Wenn er ist, schweigt der Intellekt. Es gibt nichts zu erkennen, ausser, zu erkennen.

Im Gestaltungsakt entsteht Kunst offen. Ungewiss ist, was, während er ist, in Erscheinung tritt.

Der Gestaltungsakt ist Improvisation, plötzlich, ohne Absicht, nicht orientierungslos, aber vorstellungsfrei. Was Bild werden könnte, wird Bild erst im Bilden.

Der Gestaltungsakt ist ernst und entscheidend, eine Spur oder auch nicht. Finden und Irren, Scheitern und Gelingen hält er bereit, Zweifel auch und Zuversicht.

Ideen sind Formen, Formen sind Ideen. Sie leben aus- und ineinander. Vielgestaltig, ständig im Wandel, sind sie aufgehoben im Innen, Prägungen, die prägen. Ist ihre Zeit gekommen, werden sie erkennbarer Teil, geheimnisvoll. Ihre Zeit ist unfassbar. Wenn Kunst ist, ist Kunst.

Der Gestaltungsakt ist Tun, ohne zu machen, Schauen, ohne zu wollen, ein gewundener Weg am Rande. Licht ist, wo es dunkel wird.

Der Gestaltungsakt ist ein rhythmisch wechselnder Zustand, hin und her pendelnd zwischen Werden und Vergehen, actus auf actus in der Gegenwart.

Schöpfung ist Kreuzung. Zwei Wege treffen aufeinander, vereinigen sich für kurze Zeit und streben wieder auseinander. In der Mitte, dort, wo die unterschiedlichen Richtungen in eins fallen, kurzfristig, bevor sie wieder auseinander streben, am und im Kreuzungspunkt, in- und übereinander, herrscht gespannte Konzentration. Hier kommt die lineare Unterschiedlichkeit des Woher und Wohin in Balance. Für den Augenblick des Übergangs tritt zentrale Ruhe ein. Aus Eins und Zwei entsteht Drei, ein Neues, noch nicht Da-Gewesenes.

Kunst, die kleine Schwester der grossen Schöpfung, deren Teil wir Alle sind und an der wir Alle Teil haben, entsteht aus Kreuzungen. Stoff trifft auf Wille, Wille auf Stoff. Form entsteht.

Der Künstler ergreift das Material und wird von ihm ergriffen. Indem er es prägt, prägt es ihn. Seine Hand gleicht der des Kindes, die in den Lehm greift, (er)schafft und erkennt.

Im schöpferischen Prozess stehen Stoff und Formwille im Dialog. Er besteht im Wesentlichen aus hörendem Nehmen und sprechendem Geben. Aufbau und Zerstörung sind seine rhythmisch wechselnden Grundkonstanten.

Kunst ist Kreuzung. Sie erinnert an den trinitären Urzustand: in der Schöpfung schöpferisch sein für die Schöpfung.

Kunst ist, immer.

Kunst ist in der Gegenwart, vorübergehend und doch bleibend.

Kunst stellt keine Fragen und gibt keine Antworten. Alles, was über sie gesagt werden kann, hat mit ihrem Vollzug nichts zu tun, ausser, es wäre selber Vollzug, also Kunst.

Kunst entzieht sich dem Begriff, ist aber begreif-, weil erfahrbar. Begriff ist Interpretation, scheinbare Objektivität im Gewand subjektiver Deutung. Begreifen ist Teil haben. Teil haben lässt schöpferische Erfahrung wachsen, teilnehmend und teilgebend, aufmerksam und geduldig, von Mal zu Mal erfüllter, in langsamer Annäherung, ohne den Willen, ans Ziel zu kommen.

Dieser Vorgang, selbst künstlerisch, ähnelt dem Schöpfungsakt. Darum wird aus ihm Kunst begreifbar.

Kunst ist da, um wahrgenommen zu werden. Gewirktes, Wirkender und Wirkung fallen in ihr in eins.

Kunst ist nur zum Teil in sich und aus sich. Sie bleibt immer Fragment. Ganz wird sie durch die aufmerksame WAHRnehmung eines wahrnehmenden Du, vorurteilslos, geduldig und wiederholt.

Kunst wird entdeckt. Ein vordem Unbekanntes wird plötzlich wahr und macht sprachlos. Wer entdeckt, findet. Unwichtig ist Wissen, auch Gefallen und Missfallen, Bekanntes und Unbekanntes.

Kunst ist voraussetzungs- und zweckfrei, aber nicht grundlos. Sie ist um ihrer selbst willen sinnvoll.

Wichtig ist die Berührung des Herzens, entscheidend, Wahrheit von Illusion trennend, die Begegnung. Worte, die aus diesem Dialog keimen, sind wahr, weil selbst Kunst.

Kunst ist Spiel wie Kinder spielen, bevor die Erwachsenenwelt ihnen die Spielregeln erklärt. Wer gewinnen will, verliert dieses Spiel. Kunst ist Spiel, Spiel ist Phantasie, Phantasie ist Freiheit.

Kunst streift die Sinne wie zufällig. Sie betrifft, ob gewollt oder nicht. Unvorhersehbar ist ihre widerhallende Wirkung. Wunden vermag sie zu heilen, Heiles zu verwunden. Sie wartet geduldig auf offene Herzen. In sie senkt sie sich zur Entfaltung und Blüte. In ihnen erfährt sie Fürsorge.

Kunst wird WAHR im Du, nicht nur, aber auch.

AFG 2001/2008



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