„Das Ewige Bildnis“
Buchseiten-Fragmente
Einführung/Begleittext zur gleichnamigen Ausstellung
Universitätsklinikum Ulm Medizinische Klinik
28.06. - 28.08.2012



Künstlerinnen und Künstler sind in der Regel neugierige Menschen, das ist Teil ihrer Profession. Sie lassen sich gerne anregen, gehen Spuren nach, die ihnen interessant und bedeutsam erscheinen. Ein Teil ihrer Arbeit besteht darin, Stoffe zu entdecken, sich von Stoffen treffen, betreffen zu lassen. Das kann mitunter überraschend sein.

In einem Antiquariat entdeckte ich ein unscheinbares Buch. Eigentlich war es der Titel, der mich aufmerksam werden ließ: "Das Ewige Bildnis". Diese drei Worte sprachen mich an. Ich wollte erfahren, was sich hinter ihnen verbarg, vielleicht mehr erfahren als mir bislang im täglichen Umgang mit Bildern und ihrer Entstehung geläufig war. Ein erstes Durchblättern zeigte mir, dass es sich um eine zitatenreiche Biografie Jakob Böhmes handelte, eines Mystikers, der an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert in Görlitz lebte, von einfacher Herkunft war (die Eltern Bauersleute), den Beruf eines Schusters ausübte, und ganz nebenbei, ohne je studiert oder eine andere vergleichbare Ausbildung absolviert zu haben, umfangreiche religiös-philosophische Schriften verfasste. Ein Autodidakt also, von den einen verehrt als deutscher Philosoph, verunglimpft von anderen als gefährlicher Ketzer. Ich erwarb das schon etwas abgegriffene Buch.

Mystik, von griechisch mystikós gleich geheimnisvoll, hat mit geistig-seelischen Erfahrungen zu tun, mit Innenwelten, die religiöser Natur sein können, aber nicht müssen. Ein Mystiker/eine Mystikerin gibt diesen Erfahrungen enthusiastisch Ausdruck, mündlich und/oder schriftlich. Das Wort Enthusiasmus weist dabei unmittelbar ins Zentrum des Erlebens. Es stammt vom griechischen Enthousiasmós, was soviel wie Begeisterung bedeutet, nicht irgendeine Begeisterung, sondern die Be-Geist-erung durch und in Gott (en theós). Mit dieser Begeisterung, seinem/ihrem Talent, kann der Mystiker/die Mystikerin Anstoß erregen (so auch Jakob Böhme, der sich Zeit seines Lebens rechtgläubigen Anfeindungen ausgesetzt sah). Zum einen werden ihm/ihr impulsierende und höchst motivierende Realitäten zu Teil, die vielen seiner/ihrer Mitmenschen nicht unbedingt vertraut sind, ihnen von daher fremd und eigenartig erscheinen müssen. Zum anderen sind diese individuellen, begeisternden Erfahrungen so überpersönlicher Natur, dass sie schwer in Worte zu fassen sind, schwer mit Begriffen sich einordnen lassen ins alltägliche Dasein. Trotzdem ist eine verständliche, sprachliche Mitteilung möglich, allerdings mit eigenwilligen, mitunter herausfordernden Akzenten.
Entgegen mancher Kritik ist Mystik eine bewusste Tatsache, wenn auch schwierig zu kommunizieren. Wegen ihres stark individuell gefärbten Erfahrungsschatzes wird sie manchmal als Phantasterei abgetan. Nichts schlimmer als in einer weitgehend logisch-rational konstruierten Welt, so wertvoll das auch sein mag, des Mystizismus verdächtigt zu werden. Man ist dann nicht ganz für voll zu nehmen.

Während meiner gestalterischen Arbeit wird mir ab und an ein Erleben zu Teil, das der skizzierten mystischen Tatsache verwandt zu sein scheint.
Man spricht im Zusammenhang mit Kunst zum Beispiel von Imagination gleich Einbildung, von Inspiration, dem schöpferischen Einfall, oder auch von Intuition, der unmittelbaren Anschauung, einem tieferen Gespür, dem sogenannten 'Siebten Sinn'. Diese Worte umschreiben dabei nichts anderes als den Tatbestand künstlerischer Realisierung.
Die alten Griechen verdichteten diesen Vorgang in das poetische Bild des Musenkusses, selbst schon eine verführerische Imagination. Die Musen, Schutzgöttinnen der Künste, nähern sich dem schöpferischen Menschen und lassen ihm liebevoll göttliche Eingebung zu Teil werden.
Paul Klee sprach in diesem Zusammenhang etwas nüchterner von der "Unbekannten X", mit der Kunstschaffende während des Schaffensprozesses immer zu rechnen hätten, und die künstlerische von rein handwerklicher Arbeit unterscheidet.
Pablo Picasso gar ließ sich in einem Gespräch zu der folgenden, bemerkenswerten Aussage hinreißen:
“Etwas Geheiligtes, darum geht’s. Man müsste ein Wort dieser Art gebrauchen können, aber es würde schief aufgefaßt, in einem Sinn, den es nicht hat. Man müsste sagen können, daß ein bestimmtes Bild so ist, wie es ist, mit seinem Gehalt an Kraft, weil es ‘von Gott berührt’ ist. Aber die Leute nähmen es krumm. Und doch kommt es der Wahrheit am nächsten ...” (Picasso, “Über Kunst”, Diogenes Verlag Zürich 1982)
Erstaunliche Worte, mit denen Picasso die schöpferische Leistung in einen quasi-religiösen Kontext stellt, wenn auch unter Vorbehalt.

Künstlerisches Arbeiten besteht nicht ausschließlich darin, eine im voraus gefasste und damit feststehende Idee ins Werk zu übertragen, sie wie in einem Malbuch auszumalen. Wer dieser Vorstellung anhängt, übersieht etwas Entscheidendes, übersieht dasjenige, was Kunst erst zu Kunst werden lässt, eben die "Unbekannte X" wie Paul Klee sagen würde. Denn das Wesentliche an der Kunst, am und im schöpferischen Prozess und Erleben, ist nicht sichtbar, nicht verfügbar, nicht machbar. Das Wesentliche stellt sich ein, ungefragt, unerwartet und oft auch nicht.
In meinen Augen, wenn ich auf mein persönliches Erleben blicke, handelt es sich um ein höchst aufmerksames Innewerden, um einen glücklichen Zeitpunkt umfassenden wie grenzenlosen Erkennens, das vermutlich jedem Menschen zugänglich sein kann (zum Beispiel auch dem Betrachter/der Betrachterin eines Kunstwerks). Etwas Zufälliges wohnt dieser Erfahrung inne, zufällig im Sinne von zufallend. Während der gestalterischen Arbeit, wenn sich dieser Zustand einstellt, habe ich dann den Eindruck, dass sich mir eine stimmige künstlerische Realisierungsmöglichkeit anbietet, mir gewissermaßen zufällt, nicht ohne mein Zutun, aber auch nicht direkt willentlich von mir herbeigeführt. Ich habe die intensive Empfindung, dass mein Einfall mir zufällt, bzw. dass das, was mir zufällt, mein Einfall ist. Ein komplexes wie paradoxes Erlebnis. In oben angesprochener Lebensbeschreibung Jakob Böhmes fand ich es ähnlich zum Ausdruck gebracht, nicht dem Inhalt, aber dem Entstehungsprozess nach.

Ich nahm das Buch mit in mein Atelier. Ich beschloss, dem "Ewigen Bildnis" bildnerisch nachzuspüren, zu gestalten, neu zu gestalten, weiter zu gestalten, ohne die Absicht, an ein Ende kommen zu wollen. Seite für Seite las ich und markierte sie anschließend mit Farbe und Form. Es ging mir nicht darum, Geschriebenes zu illustrieren, sondern der Werkspur eines Anderen, Größeren zu folgen, an seinem Gesagten, am von ihm Ausgesprochenen entlang einzutauchen in einen je neuen, aufregenden wie ungewissen Gestaltungsprozess. Vom Schriftlichen ins Bildliche!

Es entstanden auf kleiner Fläche komplexe wie selbstverständlich anmutende Gebilde, farblich-formal sehr unterschiedlich repräsentiert. Im Wesentlichen kreisen sie immer wieder um das gleiche Thema schöpferischen Werdens und Vergehens. Sie befinden sich auf dem Weg zu einem nie zu erreichenden Ziel, dem "Ewigen Bildnis".

Buchseiten-Fragmente, Malerei auf Buchseiten mit Textauszügen des Mystikers Jakob Böhme, in ihrem Werden selber einer mystischen Tatsache folgend, dem Künstlerischen Dialog.

AFG 2012



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