Räumlichkeiten


Raum umgibt den Mensch umfassend. Raum ist seine Umwelt. Umwelt entdeckt er, erfährt und gestaltet sie. Durch ihn, für ihn und auf ihn hin, gewinnt Raum Bedeutung.

“Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. Die Erde aber war wüst und leer. Finsternis lag über dem Abgrund und der Geist Gottes schwebte über den Wassern” (AT, Genesis I, 1/2).
So die Ausgangssituation. In sie hinein senkt sich Gottes Gestaltungskraft. Laut biblischem Schöpfungsbericht sieben Tage lang. Aus Chaos wird Kosmos. Genesis, Bildnerei Gottes, Raum schaffend, Raum ordnend und gliedernd. Darin der von Gott geschaffene Mensch, Wesen unter Wesen, ein Zentrum im Zentrum.
Doch der Mensch fehlt. Gott nimmt ihm seine zentrale Position. Er muss gehen und sieht sich ausgesetzt ins Endliche einer unendlichen Geschichte. Von nun an wird er geboren. Schwerkraft wird bestimmend, sie zu überwinden nicht endende Aufgabe. Aufrichten, Stehen, Laufen, ein mühsamer Emanzipationsprozess in den Raum hinein. Raum wird Lebensraum, habhaft, von Nord nach Süd, von Ost nach West.

Außen ist Umwelt. Umwelt findet der Mensch vor, macht sie in Folge zum Projektionsort seiner Gestaltungskraft. In ihr manifestiert sich seine bildende Phantasie als Werk. Kultur entsteht.
Ausdruck menschlichen Zugriffs auf den Raum ist Architektur. Architektur schafft Raum im (Um) Raum. Sie findet Raum vor und setzt Raum in ihn hinein. Im Außen entsteht Innen als Resultat menschlichen Bauens in die Umwelt hinein.
Feuer ist von zentraler Bedeutung. Um die Feuerstelle herum entsteht Behausung, im weiteren Haus. Sich zu behausen, eine (Selbst) Behauptung, ermöglicht dem Mensch die Blöße seines Ausgesetztseins, entsprechend der zu bekleidenden Nacktheit seines Körpers, zu bedecken. Der Mensch als Architekt, als Baumeister, grenzt sich mittels des Bauwerks vom Umgebenden ab. Er bildet sich Innenraum im Außen. Er doppelt den Raum nach Innen. Er schafft sich damit ein Bergendes.

Innen und Außen. Zwei Qualitäten, die sich gegenseitig bedingen. Wo das Eine, da auch das Andere. Innen und Außen, ein komplementärer Gegensatz. Dazwischen der Mensch, selbst ein Innen wie ein Außen. Seine Körperlichkeit bildet die Grenze. Mittels ihrer, mittels der in sie eingebetteten Sinnesorgane, der Sinnesreize und damit verbundenen Sinneswahrnehmungen, vermag er Fühlung aufzunehmen, Kontakt herzustellen zwischen dem, was ihn umgibt und dem, was in ihm lebt. Innen formt sich aus in der anhaltenden Auseinandersetzung mit einem Außen, das wiederum durch die Zuwendung eines Innen an Leben gestaltender Bedeutung gewinnt.

Außen dominiert Anblick. Das Auge trifft auf und ist betroffen von. In den Außenraum gesetzt, eine Sichtbarkeit, behauptet Werk als gestaltete Stofflichkeit dauerhaftes Sein, pocht, wenn auch vergeblich, auf Ewigkeit.
Innen dominiert Einblick. Das innere Auge sieht nur ihm zugängliche, gleichwohl reale Bilder. Innenraum erscheint abgewandt, abgeschlossen, in sich abgegrenzt gegenüber einem Außen und doch grenzenlos. Innen ist ein Mehr, ein Vollkommeneres. Weit und tief mögliches Denken und Empfinden. Schier grenzenlos das Vorstellungsvermögen. Werk außen entsteht im Dialog von daher.

Heiliges wohnt innen. Für es reserviert der Mensch Innenraum (im Außen). Von dort aus lässt er sich leiten, von dort aus bestimmt sich sein Leben. Wirkung Außen, Wirkendes Innen. Das Heilige fordert den Ort, den der Mensch ihm zuweist aus heiliger Betroffenheit.
Und Gott sprach “Tritt nicht näher heran! Ziehe deine Schuhe von deinen Füßen, denn der Ort, auf dem du stehst, ist heiliger Boden!” (AT, Exodus III, 5)
Heiliger Raum entsteht an heiligem Ort. Heiliger Ort ist gesondert, darum besonders. Heiliges, das sich durch den Menschen und mit ihm einen heiligen Platz bestimmt, zeichnet Innenraum vor. Der inneren Kennzeichnung folgt die äußere. Steinhäufungen, Mauern, im weiteren das (Gottes) Haus. Das Heilige, behaust in einem Heiligtum, an verborgenster Stelle, eben ganz innen, (auf) bewahrt (Entsprechendes zeigen die Kultbauten des Altertums. Sie unterscheiden zwischen einem offenen, äusseren Bezirk und einem geschlossenen, inneren Bereich. Der äussere Teil ist frei zugänglich, der innere nicht. Dort, an abgeschlossenem Ort, der manchmal einen weiteren geheimen Innenraum enthält, wohnt das Heilige. Dort wird es in Form eines Kultobjektes gepflegt. Nur zu bestimmten Zeiten, an Festtagen, verlässt es gewaschen, gesalbt und geschmückt seine Wohnstätte und tritt nach aussen, wird sichtbar für die Allgemeinheit, ansichtig ihrer rituellen Verehrung).

Außerhalb des Heiligen liegt das Profane, der weltliche, alltägliche Raum. In alter Zeit folgt er der Betonung des Heiligen. Eine zunehmend säkularisierte Welt zeigt ihn als bestimmenden, wenn nicht beherrschenden Teil menschlichen Lebens, der das Heilige zu einer punktuellen Aussparung untergeordneter Bedeutung schrumpfen lässt.
Profaner Raum, Raum außerhalb des Heiligen, außerhalb eines Innen, das der Verehrung des Heiligen geweiht ist und dient.
Im Außen des Profanen finden sich die Behausungen des Menschen, gruppiert um das behauste Heilige herum. Sie gliedern den profanen Raum in einen privaten und einen öffentlichen.

Das Haus bietet dem Menschen Privatraum. Wie heiliger Raum grenzt sich auch privater Raum von einem umgebenden Außen ab, wird dadurch wesentlich Innenraum, intimer Raum, Raum eines ganz spezifischen Vertrauens, Schutzraum nicht nur gegenüber der Natur, sondern auch gegenüber Anderen. In ihm und mit ihm vermag sich der Einzelne der Allgemeinheit als Summe der Anderen zu entziehen. Zugang zum privaten Raum hat nur er und er bestimmt, wer noch, außer ihm, Zutritt haben darf.

Öffentlicher Raum ist frei oder zumindest teilweise frei zugänglich. Alle Menschen haben das Recht, ihn aufzusuchen und in ihm sich zu bewegen und aufzuhalten.

Öffentlicher und privater Raum schliessen sich gegenseitig aus und bedingen sich zugleich. Öffentlichkeit kann nie eine Privatsphäre bieten. Ist etwas öffentlich, liegt es offen, vor aller Augen, für alle sichtbar. Gerade das Gegenteil zeigt sich im Privaten, immer und an jedem Ort ein Abgesondertes, eben ohne Öffentlichkeit, nicht offen, darum eigentümlich, persönlich eigen, in jedem Fall für sich bestehend.

Öffentlicher und privater Raum stehen in einem ähnlichen Komplementärverhältnis wie profaner und sakraler Raum. Indem der Mensch sich Privatraum schafft als ein Innen innerhalb eines Äußeren, definiert er ebendieses Äußere als öffentlichen Raum. Öffentlicher Raum findet seine Grenze dort, wo das Private beginnt, das Private endet dort, wo Öffentlichkeit herrscht.
Privater Raum enthält Verborgenes, vertraut nur wenigen Einzelnen. Er birgt innen, was sonst außen sichtbar wäre, im Außen in Erscheinung träte. Öffentlicher Raum dagegen birgt nicht, er entdeckt, er deckt auf.
Aus der Sicht des bergenden und verbergenden Innen des Privaten, fällt dem Öffentlichen das Attribut der Schaustellung zu. Umgekehrt erscheint das Private aus dem Blickwinkel der Öffentlichkeit als Tabu.

Menschliche Entwicklung ist Aneignung von Raum, raumgreifendes in Besitz nehmen eines Umgebenden. Das Umgebende ist Außenraum, Umwelt, die der Mensch vorfindet und zum Projektionsort seines Gestaltungswillens macht. Seine bildende Phantasie lässt Werk entstehen, innen wie außen, an heiligem wie profanem Ort, öffentlich wie privat, je subjektiver Ausdruck und wirkendes Objekt in einem.

AFG 2008/2011

Literatur
“Das Heilige und das Profane Vom Wesen des Religiösen”, Mircea Eliade, Insel Verlag Frankfurt am Main, 1984
"Die Bibel Die Heilige Schrift des Alten und Neuen Bundes", Verlag Herder Freiburg im Breisgau, 1966



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