„Kulturen“
Achs FisGhal (Malerei)
Afrikanische Skulpturen
6. April – 10. Mai 2008
Walter Vogt Galerie VOGTart


Afrikanische Skulpturen

Vielleicht ergeht es Ihnen bei der ersten Begegnung mit den hier ausgestellten Objekten afrikanischer Herkunft ähnlich wie mir: Nach anfänglichem Befremdetsein und einer gewissen Skepsis folgte eine Öffnung für das Neue, das Unbekannte; eine Neugier stellte sich ein, die mir den Zugang erleichterte. Jetzt, nach einer zwar immer noch rudimentären aber dennoch intensiven Beschäftigung mit diesen Objekten, ist die anfängliche Skepsis einer zunehmenden Begeisterung gewichen und es fällt mir schwer, mich der Faszination, die diese Objekte ausüben, zu entziehen.
Ähnlich mag es wohl einigen europäischen Künstlern zu Beginn des letzten Jahrhunderts ergangen sein, Künstlern, die damals zur Avantgarde gehörten und die heute unter dem Begriff „Klassische Moderne“ firmieren. Es war die Zeit der Suche und des Neubeginns, in der die zivilisationsmüden Europäer sich dem Unverfälschten und Ursprünglichen außereuropäischer Kulturen zuwandten und von dort Impulse für das eigene Schaffen aufnahmen. Ein Vorläufer dieser Bewegung war Paul Gauguin, der in der Südsee jedoch nicht so sehr die – wie es damals hieß – „primitive Kunst“ suchte als vielmehr das „primitive Leben“. - Es blieb Picasso überlassen als erster den Einfluss außereuropäischer Kulturen – speziell Afrikas - aufzugreifen und in sein Werk zu integrieren. Es ist heute hinreichend dokumentiert, dass Picasso, als er um das Jahr 1907 an seinen „Desmoiselles d’Avignon“ - dem Urbild des Kubismus – arbeitete, sich intensiv mit afrikanischen Masken beschäftigte und auch selbst welche besaß. So lässt sich sagen, dass an der Wiege der ersten eigenständigen Kunstrichtung des 20. Jahrhunderts, nämlich des Kubismus, Afrika als Pate stand. (Vergleichbares lässt sich in der Musik bezüglich des Jazz feststellen, dessen Wurzeln ebenfalls bis tief nach Afrika hineinreichen.) Aber auch deutsche Expressionisten wie Kirchner, Heckel, Schmidt-Rottluff, Nolde und andere fühlten sich von der Kunst Afrikas angezogen und - trotz denkbar größter Unterschiede in den geistigen Grundlagen - mit den anonymen Meistern des schwarzen Kontinents aufs engste verwandt. Dieser Einfluss, der sich auch in den Skulpturen eines Alberto Giacometti oder Brancusi feststellen lässt, hatte auch maßgeblichen Anteil an dem, was in den 80-er Jahren die so genannten „Neuen Wilden“ hervorbrachten (Lüpertz, Polke, Penk oder Elvira Bach). - Es bleibt festzuhalten: Die so genannte „Primitive Kunst“ wurde für eine Vielzahl von Malern und Bildhauern zu einer Quelle schöpferischer Inspiration und hat einen großen Teil der Kunst des 20. Jahrhunderts beeinflusst.

Spricht man von afrikanischer Kunst, so muss man sich darüber im Klaren sein, dass diese Bezeichnung ein rein europäisches Etikett ist, ein Etikett, das aus Sicht der Schöpfer dieser Kunst keine Berechtigung besitzt. Für sie geht es nicht um „Kunst“ – sogar der Begriff ist ihnen völlig fremd – für sie geht es um Kultus. So sind diese Masken und Skulpturen keine Kunstwerke im eigentlichen Sinn, sondern in erster Linie Kultgegenstände, die ihre Bedeutung allein durch ihre Funktion im Kontext einer bestimmten Handlung, eines animistisch-religiösen Rituals erhalten. Beispielsweise wird die Maske mit dem Bastkragen und dem Hornaufsatz im Rahmen einer Einweihungszeremonie, bei der Aufnahme eines Jungen in die Männergesellschaft, eingesetzt; es ist eine Initiationsmaske aus dem Kongo. Skulpturen finden häufig im Rahmen eines Heilrituals oder als Gegenstand der Verehrung als Teil des Ahnenkultes Verwendung. Ist dieser Zusammenhang nicht mehr gegeben, weil beispielsweise die erhoffte Wirkung ausbleibt, so hat der Gegenstand seine Funktion und damit seine Bedeutung verloren und ist wertlos geworden. - Dadurch muss er für uns Europäer aber nichts von seiner Schönheit und Faszination verlieren, auch dann nicht, wenn er aus seinem ursprünglichen Zusammenhang herausgenommen und nun zum Betrachten ausgestellt wird. In unserer Ausstellung finden Sie neben Kultgegenständen auch Schmuck und Gebrauchsgegenstände, wie beispielsweise zwei kupferne Fußreifen aus dem Kongo, die Frauen am Fuß tragen, oder den Keramikkessel aus Mali, der zum Anbieten des traditionellen Hirsebieres (dem tschapalo) benutzt wird, oder des lanzenförmigen Eisenteil aus Nigeria, das als so genanntes Primitivgeld, oder Brautgeld als Zahlungsmittel diente.

Worauf die Faszination dieser Objekte beruht, ist schwer zu sagen. Vielleicht liegt der starke Ausdruck, der von ihnen ausgeht, vor allem in einem ausgewogenen Verhältnis von Dynamik und Struktur, von Kraft und Maß. Oder, um es auf eine einfache Formel zu bringen und wie Herr Bies immer wieder betont: Afrika lebt in seinen Formen.

Das Struktur-Element beruht häufig auf einer klaren geometrischen Formensprache, sei es als geschnitzter Körper oder als aufgetragene Zeichnung oder Bemalung.
Die Kraft zeigt sich zum einen in einer dynamischen Formgebung, die in rituellen Tänzen – also durch den Gebrauch – noch potenziert wird. Die Kraft kann aber auch bei einer in sich ruhenden Maske oder Figur als Inbegriff von Potenz und Präsenz in Erscheinung treten – vergleichbar mit asiatischen Buddhastatuen oder auch mit romanischen Madonnenfiguren, man denke an die sog. Schwarzen Madonnen, die in vielen romanischen Kirchen nicht nur Frankreichs zu sehen sind. – Überhaupt wäre es interessant, darüber nachzudenken, welche Parallelen es gibt zwischen afrikanischer Religiosität (die von uns schnell als Aberglaube abgetan wird) und bestimmten Formen christlicher Religionsausübung. Man denke z.B. an die Reliquienverehrung oder auch an das sich Bekreuzigen vor einem Kruzifix. - Jede Religion braucht sinnliche Objekte, um die Verbindung zum Übersinnlichen begreifbar zu machen.

Wie unterschiedlich im Einzelnen die Funktionen dieser afrikanischen Objekte auch sein mögen, immer geht es um die Steigerung des Lebensgefühls, um Verschönerung und Verehrung, Bewahrung und Sicherung des Lebens. Gleichzeitig weisen diese Objekte auf eine Kraft hin, die über die rein menschliche hinausgeht. Und selbst wenn wir die zugrunde liegenden Vorstellungen und Glaubensinhalte nicht teilen, sind wir für das in ihnen ruhende Kraftpotential empfänglich; eine Kraft, die Teil der ästhetischen Wirkung ist.


Achs FisGhal

Was haben die Arbeiten von Achs FisGhal mit afrikanischer Kunst zu tun? Auf den ersten Blick nicht viel; auf den zweiten eine ganze Menge. Zunächst sind die Arbeiten FisGhals wie auch die hier ausgestellten afrikanischen Objekte Repräsentanten der jeweils eigenen Kultur; also zweier Kulturräume, die sich aufgrund verschiedener Traditionen, Geistesströmungen und historischen Entwicklungen zwar unterscheiden, die aber dennoch Parallelen und Querverbindungen aufweisen.

Die Arbeiten Achs FisGhals lassen sich aufgrund ihrer speziellen Formensprache stilistisch nur schwer in zeitgenössische Richtungen der bildenden Kunst einordnen. Ausgangsmaterial für seine Bildschöpfungen sind neben einfachem Pappkarton oder Stoffteilen häufig Bücher – der Inbegriff europäischer Kultur. Wie kaum ein anderes Medium hat gerade das Buch kulturelle und gesellschaftspolitische Verhältnisse und Entwicklungen aufgegriffen und widergespiegelt, aber auch Veränderungen angestoßen und die Verbreitung neuer Ideen ermöglicht. Es war ein langer Weg vom handgeschriebenen mittelalterlichen Unikat – beispielsweise als Gebet- oder Stundenbuch – über die ersten mit beweglichen Lettern gedruckten Bibeln eines Johannes Gutenberg, bis hin zum Taschenbuch als Massenprodukt oder seit neuestem zum sog. Hörbuch. Dass im christlichen Abendland Schreiber von Büchern häufig mit dem Tod bedroht waren, und auch in unserer jüngsten Vergangenheit dem Verbrennen von Menschen das Verbrennen von Büchern vorausging, macht die seismografische Brisanz dieses Mediums deutlich.

Wie geht nun Achs FisGhal mit dem Buch als Bildungs- bzw. Bildträger um? -Wenig zimperlich, könnte man sagen. Er benutzt es als Rohmaterial, er nimmt es auseinander, reißt einzelne Seiten heraus und bearbeitet diese in vielfältiger Weise. Die Ränder sind unregelmäßig gerissen, manchmal auch angebrannt, die Fläche ist gebrochen, geritzt, fragmentiert und malerisch vielschichtig gestaltet, so dass Räumlichkeit und Plastizität entstehen. - Der erste Schritt ist also ein Akt der Destruktion, vergleichbar der Arbeit eines Landwirts, der den Boden bereitet, ihn aufreißt, pflügt und eggt, um dann das Neue zu pflanzen, es entstehen und wachsen zu lassen. In einem allmählichen, organischen Schaffensprozess gestaltet sich das Bild. Kreuze, Dreiecke, an Tierkreiszeichen erinnernde Symbole, Pfeile und Zahlen sind wiederkehrende Bildelemente – und immer wieder Buchstaben. Buchstaben, die nicht so sehr als Sinnträger fungieren sondern in erster Linie als abstrakte Formgebilde. – Anders als in seiner Werkgruppe mit dem Titel „POSTSCRIPTUM“, in der Achs FisGhal die Sprache der nationalsozialistischen Ideologie thematisierte und im wörtlichen Sinn zur Sprache und zur Anschauung brachte, geht es bei diesen Schriftzeichen nicht so sehr um deren Sinn, sondern um deren sinnliche Qualität. - Die Einbeziehung der Schrift in die Bildkomposition ist ein von Picasso, Braque und anderen benutztes Ausdrucksmittel, das zunächst im Kubismus, später auch im Futurismus und der Dada-Bewegung Eingang fand und auch heute immer wieder anzutreffen ist. Schrift bzw. Buchstaben werden hier nicht mehr eingesetzt, um Wissen, Gedanken oder Erfahrungen zu vermitteln, sie werden – wie die Farbe – in ihrem Eigenwert als Zeichen, jedoch ohne Verweischarakter, benutzt. Blau ist Blau – mehr nicht, Buchstabe ist Buchstabe – mehr nicht, oder - um es mit den Worten Gertrude Steins zu sagen: „Eine Rose ist eine Rose“ - mehr nicht. Aber auch nicht weniger!
Natürlich darf man spekulieren: steht A für Arche, was Anfang bedeutet, oder für den Anfangsbuchstaben des Künstlernamens, der für sich genommen ebenfalls ein Geheimnis zu bergen scheint, und natürlich steht die Buchstabenfolge ARS für das deutsche Wort Kunst und PFEIL heißt Pfeil. - „Es gibt nichts zu erkennen, außer zu erkennen“, sagt Achs FisGhal zu seinen Arbeiten und fordert uns auf, unsere Sehgewohnheiten und unseren Wahrnehmungsvorgang zu hinterfragen, unserer Neigung zu widerstehen, allem einen Sinn, eine Bedeutung geben zu wollen, es zu interpretieren. Es fällt uns schwer, nur zu sehen, ohne zu deuten, ohne dem Gesehenen eigene Assoziationen, Vorstellungen oder Konzepte anzuheften – Aber: Ist das überhaupt möglich: Anschauen ohne die eigene Anschauung (Vorstellung) daran zu binden? - Ja und Nein – könnte man sagen – oder wie Achs FisGhal einmal sagte: „Man scheitert immer, aber jeder Versuch lohnt sich“. - Das setzt natürlich die Bereitschaft voraus, von sich selbst Abstand zu nehmen, den Gedankenfluss anzuhalten, sich zu öffnen und so einen Freiraum, einen Zwischenraum zu schaffen, in dem das zu Sehende und bisher „Undefinierte“ Raum greifen kann. Diese Form der Wahrnehmung ist ein Übungsweg, der nicht leicht ist, der sich aber lohnt, weil sich die Möglichkeit eröffnet, die Dinge selbst sprechen zu lassen. Es ist ein Weg auch Fremdes, Ungewohntes und vielleicht sogar Bedrohliches auszuhalten, es unter Umständen sogar schätzen zu lernen. Die Begegnung sowohl mit den Arbeiten von Achs FisGhal als auch der Kunst einer fremden Kultur ist dazu ein geeignetes Übungsfeld.

Zum Schluss möchte ich noch einmal auf die eingangs gestellte Frage zurückkommen: Was haben die Arbeiten von Achs FisGhal mit afrikanischer Kunst zu tun? – Kunstgeschichtlich gibt es, wie wir gesehen haben, einen Berührungspunkt im Kubismus, bei dem Elemente der afrikanischen Formensprache übernommen und mit europäischen Schriftzeichen kombiniert wurden. In dieser Tradition sind die hier zu sehenden Exponate zu verstehen. - Dann gibt es eine Parallele darin, dass sowohl die afrikanischen Objekte als auch die europäischen Schriftzeichen ihrer ursprünglichen Funktion entkleidet wurden und nun als Skulpturen bzw. als formale Bestandteile eines Bildes autonom geworden sind und so zu sagen ein Eigenleben führen. - Der dritte Punkt der Berührung, der Überschneidung, ist in einer Werkgruppe zu sehen, die wir bisher noch nicht angesprochen haben und die Sie auf den ersten Blick wahrscheinlich als afrikanische Gebrauchskeramik identifizieren würden. Es sind die im Schaufenster und hier auf dem Sockel und auf der Fensterbank zu sehenden Gefäßobjekte – hergestellt von Achs FisGhal. Ohne auf Details eingehen zu wollen, ist in der Gestaltung dieser Objekte die Nähe und Verwandtschaft zu afrikanischem, vielleicht auch südamerikanischem Kunsthandwerk nicht zu übersehen. In der Kombination von afrikanisch anmutenden Dekor-Motiven mit Buchstaben und Zeichen europäischen Ursprungs, die in ihrer filigran-grafischen Ausführung teilweise an germanische Runen erinnern, hat Achs FisGhal Objekte geschaffen, die verschiedene Kulturräume miteinander verbinden. Und dabei wird deutlich: Wer heute den Begriff der „Leitkultur“ benutzt, sollte wissen, dass sich jede Kultur aus unterschiedlichen Quellen speist, dass es eine Bereicherung sein kann, neue Impulse von außen aufzunehmen, ohne die eigene Substanz aufgeben zu müssen. Dies kann uns diese Ausstellung vor Augen führen und in diesem Sinn möchte ich die Ausstellung „Kulturen“ eröffnen.

Walter Vogt, Galerist



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