Er habe es längst aufgegeben, der Wahrheit so nahe zu kommen, dass er der Versuchung erläge zu meinen, er müsse sie anderen mitteilen, andere gar von ihr überzeugen, gestand mir Teiresias gestern Abend, als wir bei der dritten Flasche Wein saßen. Welche Wahrheit hätte kein individuelles Erscheinungsbild? Immer sprächen Menschen sie aus und die seien nun mal verschieden in ihrer Aussprache. Wirklich universelle Wahrheiten gäbe es nicht. Für ihre Formulierung sei der Mensch nicht universell genug.

Übrigens war die Pastete vorzüglich, das Landbrot ein Gedicht und die Oliven göttlich. Der belebende Wein schmeckte, als wäre er einer Kreuzung aus Goldmuskateller und Fichtennadel entsprossen.

Die gnadenreiche Üppigkeit des Weihnachtsfestes ist schon immer eine unregelmäßig verteilte gewesen. Die einen hatten, die anderen wenig bis nichts.

Teiresias, der abstammungsmäßig und zeitgeschichtlich nichts mit dem christlichen Weihnachtsfest am Hut hat, findet trotzdem Gefallen daran. Er meint, dabei würde es sich um eine sehr spezielle Versinnbildlichung des in unseren Breiten jährlich ablaufenden und wiederkehrenden Lichtdramas handeln. Dunkelheit, Licht, Sonne, Kind! Was für ein Heilsversprechen!

Man darf sich kurz fassen. Für die lange Fassung hat sowieso niemand Zeit, geschweige denn Auffassungswillen.

Was man nicht teilen kann, behalte man für sich. Man begreift das manchmal erst hinterher, wenn man etwas bereits (mit)geteilt hat.

Nichts hat ihn bislang mehr beschäftigt, als sein Bedürfnis nach Fürsichsein, nichts mehr, als sein Angewiesensein auf Verbundenheit. Mit jedem Lossagen hat er sich anderen versprochen noch und noch.

In jedem Anfang das Ende, in jedem Ende der Beginn.

Eine belastbare Wertschätzung macht keinen Radau, belehrt mich Teiresias, der heute bei mir eingeladen ist. Es gibt deutsche Küche.