Die Stunden sind nicht gleich und vermeintlich gleiche Orte gleichen sich nicht. Ich war auf dem Weg in die Stadt und kam an einem Gebäude vorbei, das ich in der Vergangenheit schon viele Male bewundert hatte. Ein historisches Bauwerk mit stilvoller Fassade. Einem plötzlichen Impuls folgend, bog ich ab in eine kleine Seitenstrasse, um mir das vierstöckige Haus von hinten anzusehen. Die Gasse war nicht der Rede wert und auch der Prachtbau, wie ich ihn von seiner Vorderseite her kannte, verlor sehr an Wirkung, ja bekam etwas Schäbiges. Wie lieblos die Loggien an der renovierungsbedürftigen Hauswand klebten, geschmacklos fast, ohne Wertschätzung der historisch-baulichen Gesamterscheinung. Zu einer anderen, freundlicheren Tageszeit hätte mich dieser Anblick vielleicht nicht gestört. Hier und jetzt aber bedrückte er mich und insgeheim bereute ich meine Neugier, die mich in die kleine Seitenstrasse hatte abbiegen lassen. Alles Ansichtssache, dachte ich noch.

Wo andere nichts zu sehen scheinen, kann ich mich vor Sehempfindungen kaum retten.

Immer bemisst unser Erinnerungsvermögen, man könnte auch von historischem Bewusstsein sprechen, Ort und Zeit.

Ist nicht Vorbehalt (vielleicht auch Skepsis, in jedem Fall eine gewisse Distanz) Hauptantrieb für Kunst und Wissenschaft? Was uns hinreißt, können wir schlecht untersuchen.