Wer malt, ist kritisierbar, wer schreibt auch, überhaupt, wer sich äussert und handelt.

Na ja, sagte Teiresias, als wir neulich mal wieder zusammen auf der Terrasse saßen und uns einen Roten schmecken ließen (er hat mittlerweile Gefallen gefunden an der Praxis des Dämmerschoppens). Na ja, sagte er also und strich sich etwas zögerlich mit seiner kräftigen Hand übers Gesicht, das mit dem Müßiggang der Götter wurde mir halt zum Verhängnis, ausgerechnet mir, Teiresias, einem unscheinbaren Hirten von Schafen und Ziegen, und im Grunde genommen nur, um einen lächerlichen Ehezwist zu schlichten. Zeus und Hera müssen sich, wie ich mir nachträglich zusammenreimte, sehr gelangweilt haben da oben im Olymp, bevor sie in Streit gerieten. Sie müssen sehr gelitten haben unter dem endlosen Müßiggang. Und um sich den ein wenig zu verkürzen, schauten sie wahrscheinlich sehnsüchtig auf die Erde herab, ob da nicht ein Zeitvertreib zu finden wäre (wie das übrigens alle Götter zur damaligen Zeit taten und vielleicht auch heute noch tun). Du wirst es schon erraten haben, ihr Blick fiel auf mich, der ich gerade tief entspannt unter meinem Olivenbaum lag und begehrlich - das muss ich zu meiner Schande gestehen - von der Tochter unseres Nachbarn träumte. Aber wie es halt so geht mit den Begehrlichkeiten, die Realität holt einen schnell ein und belehrt eines Besseren. Er führte sein Glas an die Lippen und nahm einen kräftigen Schluck, wie um sich Mut anzutrinken. Ich rührte mich nicht, gespannt auf die Fortsetzung seiner Geschichte. Da waren plötzlich zwei Schlangen neben mir und fielen paarungstoll übereinander her, fuhr er fort, große Exemplare, ziemlich große, furchterregende Exemplare. Du musst wissen, dass wir vor 3000 Jahren in Griechenland unter einer anhaltenden Schlangenplage zu leiden hatten (statistisch betrachtet kam auf jeden Einwohner mindestens eine Schlange). Ein Biss und das war’s. Deshalb lernten wir schon in der Grundschule: Begegnet dir eine Schlange, lass’ dir nichts schenken, vor allem kein Obst. Das richtete sich in erster Linie an die Mädchen. Für uns Jungs lautete das Motto: hau ab oder hau drauf. Ich entschied mich damals für Letzteres. Das war ein Fehler. Ich hatte meinen Schlag kaum geführt, da standen sie vor mir, wie von Geisterhand, Zeus und Hera, das göttliche, aber unglücklich verheiratete Herrscherpaar. Sie rieb sich den Kopf mit schmerzverzerrtem Gesicht und er herrschte mich an: du elender Erdenwurm, was erlaubst du dir, meine Gattin zu schlagen. Das ist einzig und allein mein Privileg! Und bevor ich noch eine Entschuldigung stammeln konnte, rief er mit seiner Donnerstimme: Zur Strafe sollst du sieben Jahre das Dasein eines Weibes erleiden! Sprach’s und machte mich zur Frau. Hier brach Teiresias ab, sichtlich mitgenommen von seinen traumatischen Erinnerungen. Er nahm noch einen Schluck Roten, stammelte etwas von Vergessen. Dann ließ er mich sitzen. Ich hätte gern noch mehr von ihm erfahren.