”Geistig-seelische Verbundenheit, ein in etwa ähnlicher Bildungshorizont und sexuelle Erfüllung, voilà, die ideale Beziehung”, meint Teiresias, der (selbsternannte) Eheberater. ”Meines Wissens warst du nie verheiratet”, sage ich, ”und überhaupt, wo bleibt denn da die Liebe?” ”Die ist da überall mit drin”, antwortet er, ”in veränderlichen Anteilen, und wer sagt denn, dass man geliebt haben muss, um etwas von Liebe zu verstehen?” ”Ich”, antworte ich.

Man findet sich und man verliert sich. Nichts ist von Bestand. Das lässt Liebe so wertvoll sein und so schmerzvoll.

Für euch Heutige hat die Natur alles Beseelende verloren, ergriff Teiresias gestern vor dem Abendessen das Wort mit einer Stimme, die ich ihm nie und nimmer zugetraut hätte. Am funkelnden Nachthimmel seht ihr weder beglückende, noch furchterregende Gestalten, nur mehr helle Lichtpunkte, zeitörtliche Signale, wie ihr sagt, mehr nicht. Bäume sind euch nichts anderes als verwertbare Biomasse. Ihre sorgenvolle Kommunikation bleibt euch verborgen und interessiert euch vermutlich auch nicht. Auf der Erde, die euch seit Anbeginn trägt und nährt, quasi euer Mutterschoß ist, trampelt ihr herum wie auf einem alten, ausgetretenen Teppich. Und dann wundert ihr euch, wenn die Natur sich erhebt und erbittert zur Wehr setzt. Weh’ euch, die ihr über Techniken verfügt, die Welt und Natur zu Grunde zu richten in der Lage sind! Weh’ eurem Zeitalter, das Technik zur unumschränkten ”conditio sine qua non” erhoben hat!
Da hat er jetzt aber ganz schön dick aufgetragen, dachte ich mir mucksmäuschenstill und wagte nicht, zum Besteck zu greifen, obwohl die vollen Teller vor uns standen. Doch dann entspannte sich Teiresias, erhob langsam sein Weinglas, und prostete mir einem schwer zu deutenden Lächeln zu: danke dir für dieses gute Mahl und nun lass’ uns essen, sonst wird es noch kalt, was doch sehr schade wäre.

Ermattet vom überschwänglich-lustvollen Liebesakt lag er neben ihr und sein Blick tastete ein weiteres Mal liebevoll ihre hingebungsvolle Silhouette ab. Dann schmiegte er sich sehnsuchtsvoll an sie und nahm das schmerzlich-beglückende Gefühl von Getrennt- und Verbundensein mit in den Schlaf.

Wo nichts Trennendes, da nichts Verbindendes.

Wieder etwas Schnee. Als ob man einen Kuchen nachlässig bepudert hätte. Das Drunter scheint durch und straft den weißlichen Belag Lügen.

Intuition als eine unwissenschaftliche und darum zweifelhafte Fähigkeit des Menschen sich einer Wahrheit anzunähern.

Teiresias dazu: während Irrtum immer auf etwas fusst, ist Wahrheit bodenlos. Deshalb kann sie ja auch einleuchten.

Das atmosphärische Stimmungsbarometer einer ganzen Gesellschaft, schwankend zwischen Desinteresse, Gutgläubigkeit und Irrglauben, ganz zu schweigen von Wut und Hass. Gesunder Menschenverstand und aufrechtes Herz: Fehlanzeige.

Schon immer sei überbordender Wohlstand Garant gewesen für kommende Zerrüttung, sagt Teiresias. Gegenbeispiele gäbe es nur wenige. Eine größere Anzahl von Menschen müsste sich verhalten
nach dem Motto: ändere dich und damit die Welt zum Guten.

Zum Beispiel, meint Teiresias, war die Erklärung der Weltentstehung für uns immer eine ästhetische Angelegenheit: Himmel, Erde, Tag und Nacht. Mehr hatten wir nicht zur Verfügung.