Askese ist auch ein Weg, vor allem für Sünder, sage ich. Darauf Teiresias: „Askese ist nur etwas für Asketen, nicht für Sünder. Und überhaupt, was ist Sünde? Eine menschliche Verfehlung (in möglicherweise ungeahntem Ausmaß), von Mensch zu Mensch angelastet und strafbar gemacht. Außerhalb menschlicher Zusammenhänge gibt es keine Sünde (was kein Freibrief für Mord und Totschlag ist).

Teiresias ist der einzige, der keine Maske trägt. Interessanterweise nimmt niemand Anstoß daran. Dabei hat Teiresias überhaupt nichts gegen das Tragen einer Maske. Er findet meist nur den Zeitpunkt unpassend, die Aufmachung langweilig und einfallslos. Und dann noch für alle!, sagt er. Wo bleibt denn da der offenbarende Bezug? Und schau’ dir an, wie sie die Maske tragen, ohne Sinn und Verstand. Man könnte meinen, es ginge nur um Schutz.

In manch gut situierten Verhältnissen bemisst sich die Größe des Unglücks an der Nichtigkeit der Ereignisse.

Was gibst’s heute zu essen, fragt mich Teiresias beim Frühstück (was er sonst nie tut). Und als ich ihn etwas fragend anblicke, teilt er mir mit, er habe heute Geburtstag. Als Mann von (Unter)Welt hast du doch überhaupt nie Geburtstag, sage ich. Darauf er, doch, heute schon. Also gut, lenke ich ein, wie wär’s mit einer leckeren Bärlauch-Quiche, dazu ein frischer Salat aus Radicchio und Birnen an Feigensenf-Honig-Dressing, begleitet von einem meerwinddurchsetzten Weißwein aus den Hochlagen Siziliens. Das klingt gut, meint Teiresias, mir läuft schon jetzt das Wasser im Mund zusammen. Sag’ mal, wie alt wirst du eigentlich?, frage ich ihn. Und er: wenn ich das nur wüsste. Wie wär’s denn mit 66, schlage ich vor. Teiresias überlegt kurz, bevor er antwortet: 47 wäre mir lieber, da sei man schon ein wenig (alters)weise, aber in der Regel noch gut in Schuss.

Das Leben als Skizze betrachten, als Skizze, die zum Ausdruck bringt, dass es ein großes Gemälde nicht geben wird. Auch so etwas Besonderes, flüchtig wie standhaft: Leben, das seine Skizzenhaftigkeit nie verliert.

Das zart verschleierte Licht dieses Morgens, das ihn teilt in Aussicht und Einsicht.