Die Illusion frei sein zu können, der der Mensch lebenslang nachlebt, verliert sich endgültig im Moment des Todes. So gesehen stellt der Tod das einzige Freiheitsmoment im Leben des Menschen dar. (siehe auch A. Camus, Tagebücher 1932-1942, Rowohlt 1963, S. 112)

In Wahrheit gibt es für den Mensch natürlich diese Freiheit nicht, jedenfalls nicht als absolute, spricht Teiresias, der mir über die Schulter geguckt hat. Der Mensch kann nur frei sein von, nicht frei sein an sich. Das steht nur den Göttern zu. So bleibt auch der Tod, ob selbstgewählt oder nicht, für den Mensch ein relatives Ereignis, dem er keinen absoluten Freiheitswert abgewinnen kann. Er wechselt bestenfalls die Existenzform, mit dem immer gleichen relativen Resultat: Frei sein von (der alten Existenz) wechselt ab mit frei sein zu (einer neuen Existenz).

Bevor einen der Tod ereilt, kann man sinnvollerweise noch eine Menge tun, rät mir Teiresias. Man verwirkliche ein Altersprojekt, fern von Speis und Trank oder anderen Leibesübungen, die altersbedingt ja sowieso einer gewissen Einschränkung unterliegen, hier aber nicht verunglimpft werden sollen. Man suche sich etwas, fährt er fort, dem man sich für den Rest der Tage intensiv widmen will. Das Spektrum reicht von Enkelkindern, sofern vorhanden, über Naturpflege, bis hin zum Erlernen einer weiteren, eventuell neuen Fähigkeit, wie das Sprechen einer fremden Sprache oder das Spiel eines Musikinstruments. Insgesamt ungemein belebend.

Sich ab und an folgende Frage stellen: was gibst du anderen im Verhältnis zu dem, was andere dir geben?

Ich will dem Tod nicht ins Handwerk pfuschen. Also lasse ich mich von ihm überraschen. Dazu darf ich nicht ständig an ihn denken. Das gelingt mir am besten, wenn ich mit ihm (zusammen) lebe.

Teiresias meint, posthum sei man immer besser als zu Lebzeiten.

Malerische Arbeitshaltung: nicht aufhören können, Farbspur an Farbspur zu setzen, die weiche Farbsubstanz, dünner oder dicker, dahin und dorthin zu verteilen, und dabei immer menschliches Maß im Auge zu behalten.

Am Ende hängt da ein Bild und ich weiß mal wieder nicht, wie genau ich das angestellt habe. Vorher und nachher komme ich mir immer etwas unbeholfen vor. Im Prozess aber, wenn Prozess, geht mir das Malspiel von der Hand, beglückend leicht und locker.

Das ist der Flow, wie man heute sagt, flüstert mir der lauschende Teiresias ins Ohr, früher sprach man vom Musenkuss, was heute etwas antiquiert klingt, den Nagel aber auf den Kopf trifft.

Nichtigkeitsempfindungen als Begleiterscheinung künstlerischer Erfüllung, konstatiere ich. Wohl wahr, antwortet Teiresias.

Der Mann, liebt er seine Frau, sorgt sich darum, dass das Lächeln auf ihren Lippen nicht erlischt.

Pathos als reine Überwältigung. Man verliert den Boden unter den Füßen. Die Gedankenmaschinerie läuft unfassbar leer. Man ist mal wieder frei zu nichts und allem.