”Tja, Teiresias”, sage ich, ”Schwarz auf Weiß macht vielleicht den Kopf frei, aber viel bei Rumgekommen ist da nicht.” ”Nur die Ruhe”, antwortet er mir, ”wenn du deine Hand uneigennützig führst, stellen sich gute Ergebnisse fast wie von allein ein.”

Lese bei Henri Matisse (noch zu Lebzeiten ein anerkannter Maler), dass er sich in den ersten Jahren seiner Künstlerexistenz ab und zu von Zuhause - sein Vater war Getreidehändler - einen Sack Reis mitnahm, um am Monatsende, wenn die Haushaltskasse leer war, etwas zum Beißen zu haben. Dieser mit Salz gekochte Reis wäre eine Delikatesse gewesen, an der manch Künstlerfreunde hätten teilhaben dürfen.

Vieles ist vollkommen selbstverständlich, zumindest in unseren Breiten, obwohl es so selbstverständlich gar nicht ist, z.B. die gefüllte Kühltruhe im Keller, das Trinkwasser aus der Leitung, Brennholz vor der Tür, Strom ganztägig. Wir haben unser Leben so selbstverständlich eingerichtet, dass uns die hundertprozentige Aussicht auf sein Ende alles andere als selbstverständlich ist.

Das prekäre Leben Kunstschaffender als Klischee, das, wie jedes Gerücht, ein Körnchen Wahrheit enthält.

Auch heute komme ich ungern meiner Begabung nach, wenn es denn eine gibt. Aber wie ich mich kenne, werde ich mich überwinden und fleißig die Zeichenkohle übers Papier ziehen.

Der andere in mir gibt mir unmissverständlich zu verstehen (das scheint ihm regelrecht Spaß zu bereiten), dass ich allzu gern nach Dingen strebe, die mir nicht zukommen. Woher er das weiß, verrät er mir nicht. Immer wieder legt er es darauf an, mich mit seinen zwiespältigen Einwürfen zu verunsichern, statt mir gut zuzureden und Mut zu machen.

So ein Blödsinn, sagt Teiresias,
der will dich überhaupt nicht verunsichern, der ist notwendiges Korrektiv zu deiner Hybris. Außerdem, vergiss’ das nicht, der andere, das bist du.

Ein Beispiel. Sage ich, das kann ich gut, sagt der andere, aber nichts richtig. Auch ist er der Meinung, dass es reine Verschwendung sei, was ich da mit meiner Zeichenkohle dem Papier zumuten würde. Aber dann: eine einzige gelungene Zeichnung und er zieht sich kleinlaut zurück, und noch eine gelungene Zeichnung lässt ihn vollends verstummen (bis zum nächsten Mal).

Man wird mit dem anderen geboren, meint Teiresias, aber man merkt davon zunächst nichts. Falsch verstandene Erziehung verdirbt ihn meist ins Gegenteil. Aus einem Förderer wird ein Destrukteur. Dein anderer ist eigentlich ein Genius (dein Genius), den die Erwachsenen deiner Kindheit haben verkommen lassen. Aber du hast ihn ja aus der Gosse geholt. Das rechnet er dir hoch an, trotz seiner zeitweiligen Entgleisungen. Du kannst ihm grundsätzlich vertrauen, wenn auch nicht blind.