Es existieren einige Erzählungen über mich und vor allem über die Ursache meiner Blindheit, erzählt mir Teiresias, als wir am Abend mit Brot, Wein und Käse gemütlich beieinander sitzen. Alles Erfindungen. Fake-News würde man heute sagen. Die verrückte Geschichte mit den zwei Schlangen und Zeus und Hera kennst du ja bereits. Eine andere Überlieferung lautet folgendermaßen: angeblich hätte ich der göttlichen Athene im Wald aufgelauert, an einem stillen Weiher, in dem sie zu baden pflegte. Ich hätte sie beim Baden beobachtet gleich einem Voyeur. Sie hätte dies entdeckt und mich zur Strafe mit Blindheit geschlagen. Das ist natürlich blanker Unsinn.
Was meine Augen anbetrifft? Ich bin früh an Grauem Star erkrankt, ganz einfach. Diese Augenkrankheit, heute gut mit einem operativem Eingriff zu behandeln, konnte man zu meiner Zeit noch nicht heilen. Sie führte bei mir zur Erblindung.
Und Athene? Ich bin ihr tatsächlich über den Weg gelaufen damals an besagtem See und es war Liebe auf den ersten Blick, von beiden Seiten. Wir schauten uns in die Augen und lagen uns in den Armen, als ob wir uns schon immer gekannt hätten. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie schnell wir unsere Kleider abstreiften und übermütig ins Wasser sprangen. Und nachher fielen wir übereinander her wie zwei liebestolle Eichkätzchen im Frühling. Eine ausgesprochene Schönheit war Athene zwar nicht, aber ein prachtvolles Weib, das mit beiden, zugegebenermaßen etwas stämmigen Beinen auf der Erde (und im Himmel) stand, bewundert, ob ihres klaren Verstands und ihrer Unbestechlichkeit. Sie gefiel mir einfach, was gibt es mehr zu sagen, wenn man verliebt ist. Natürlich durfte niemand von unserer Verbindung wissen. Stell’ dir den Skandal vor: Göttin verkehrt mit jugendlichem Schafhirt. Da kam uns das Gerücht mit dem Voyeurismus gerade recht, auch wenn mir diese Verleumdung peinlich war. Als ich später den Beruf des Sehers ergriff und in Theben in Amt und Würden kam, rückte unsere Beziehung in ein etwas standesgemäßeres Licht. Als Seher mit einer Göttin zu verkehren, war beruflich notwendig und erregte kaum Aufsehen.

Was man hat, wenn man nichts hat, oder fast nichts …

Wie jeden Morgen geht das Dunkel der Nacht fast unbemerkt über in etwas, das mehr ein Versprechen ist, als Tatsächlichkeit des anbrechenden Tages. Dieses merkwürdige Zwielicht als Grau zu bezeichnen, wäre zu einfach. Tagesgrau, Nachtgrau, was soll das sein?

Keuschheit und Laster, überdosierte Botenstoffe der Lust (eines lustvollen Lebens).

Zumeist ist die Dunkelheit heller, die Helligkeit dunkler als angenommen, sagt Teiresias.