Er ist abends immer schrecklich müde. Er liegt dann ausgestreckt auf dem Sofa und döst vor sich hin oder in irgendeine Fernsehsendung hinein. Das kann sie kaum aushalten, dass er da so liegt und stiert, dass man überhaupt so liegen kann, so schwer, so belastet. Unvorstellbar in diesem Moment, dass ihn jemals wieder etwas aus diesem Liegen hochbringen könnte. Ihn in diesem Zustand anzusprechen, sich ihm mitzuteilen, unmöglich. Dabei hätte sie so einiges auf dem Herzen, alles, was so vorgeht in ihr, worüber sie sich den lieben langen Tag Gedanken macht und ab und an Sorgen. Aber damit braucht sie ihm jetzt nicht zu kommen. Jetzt nicht. Aber wann sonst?

Wenn längst vergangen Gewähntes, programmatisch Überholtes, auftritt, jetzt, an unpassendster Stelle, und die Regie übernehmen will, und niemand aufzufallen
scheint, wie verkehrt das ist.

Wir leben schon lang nicht mehr freiblickend (sofern wir überhaupt je frei im Blick gewesen sind). Nicht mehr unbeeindruckt gehen wir vor die Tür. Statt dessen trachten wir nach Entsprechungen für das, was uns vorher, fern aller Realität, aber perfekt realitätsbezogen, auf irgendeine mediale Weise beeindruckt hat. Der frische, weil frühe, Blick, der in die Welt schaut, als sähe er sie zum ersten Mal, wird uns streitig gemacht, gründlich und täglich. Sollte er uns abhanden kommen, wird er uns so schnell nicht wiederfinden.

Saß seine Mutter da, völlig erschöpft von der Arbeit, erschien ihm ihr Dasitzen immer wie ein stiller Vorwurf. Er hätte sich unmöglich zu ihr setzen können, etwa, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Er wäre am liebsten woanders gewesen, nur um sie nicht sehen zu müssen.

Auf Höhe der Zeit. Man spürt mit stolz geschwellter Brust, dass der eigene Erneuerungsdrang dem allgemeinen Innovationsdrängen der Gegenwart voll und ganz entspricht. Und man erkennt, etwas später vielleicht, dass man sich diese Fähigkeit (auf Höhe der Zeit zu sein) nicht ewig wird erhalten können.

Meine Progressivität ist von gestern. Eine Neue, eine, die auch übermorgen noch progressiv wäre, ist nicht in Sicht.