Jun 2019

Einmal verließ auch er Frau und Kinder, nicht endgültig, nein, dazu fehlte ihm der Mut, oder eher die Rücksichtslosigkeit ausschließender Selbstverwirklichung. Immerhin hielt er sich für bedeutend genug, um der Meinung zu sein, dass ihm eine Auszeit zustünde. Frei wollte er sein und verpflichtungslos, wenigstens für eine gewisse Zeit. In der Ferne, im Dunstkreis ungeahnter Eindrucksverheißungen, wollte er sich neu spüren, neu entdecken, neu finden, unverbraucht und leicht. Dass ihn die Erlebnisse seiner Reise weder erleichterten, noch in irgendeiner Weise erneuerten, überraschte ihn. Tatsache war, dass es keine gab, zumindest nicht solche, die er erwartet hätte. Unter einem verregneten Himmel, der nichts anderes als kühle Luft bewegte, sah er sich anhaltendem Missmut und zäher Langeweile ausgeliefert. Nichts wusste er mit sich anzufangen, so entbunden von allen Aufgaben, und noch weniger mit der ihm zur Verfügung stehenden Zeit. Gezwungenermaßen saß er sie ab in seinem Feriendomizil - was blieb ihm auch anderes übrig - zwischen lieblos zubereiteten und lustlos zu sich genommenen, schal schmeckenden Mahlzeiten, an allzu langen Abenden vor dem Kamin, in dem feuchtes Holz mühsam vor sich hin glomm und seine Bücher unberührt neben ihm liegenblieben. Keine zündende Idee wollte sich einstellen, kein Eindruck sich in beglückende Worte verwandeln. Der belebende Duft der Fremde, wohin hatte er sich verflüchtigt? Und die Entdeckung eigener Andersartigkeit? - ”Ich, ein anderer” entpuppte sich als Illusion. Er klebte an sich selbst wie eh und je, sein Eigen deutlicher vor Augen als ihm hätte lieb sein können. Und das war kaum zu ertragen. Insofern kehrte er als ein anderer zurück, allerdings anders als er sich das vorgestellt hatte.

Zu fragen wäre auch, welche Menschen im eigenen Leben von Bedeutung waren. Was haben sie zu geben vermocht und, wahrscheinlich die wichtigste Frage, sind sie Förderer gewesen?

Natürlich gibt es das nicht, dass man vollständig vergessen kann, vom krankhaften Fall mal abgesehen. Erinnerungen verschwinden nicht, sie verschwimmen vielleicht, werden unscharf. So ist das mit der Rückkehr in Bekanntes, die zugleich eine Neuentdeckung sein soll, ein etwas zwiespältiges, nie ganz zu realisierendes Vorhaben, das man dem Wandel der Zeit überlassen muss.

Die Bodenlosigkeit des Lebens skizziert seine Tragweite, tragfähig für eine andere, außer ihm (in ihm?) liegende, die man sehnsuchtsvoll voraussetzt und auf die man voll Hoffnung hinlebt aus dem Bedürfnis heraus umfangen und gehalten zu sein. Schon etwas wie Gott, aber doch eher Ruf des Menschen und Anrufung an sich selbst, was Gott nicht ausschließt.

Eine Rückkehr in Bekanntes gibt es nicht. Zurückkehren kann man nur, wenn das, wohin man zurückkehren möchte, fremd geworden ist. Man muss es vergessen haben und ohne Erinnerung sein. Dann wird aus der Rückkehr Neuentdeckung.

Was dereinst mit seinen sterblichen Überresten geschehen wird, ist ihm egal. Begräbnisformen interessieren ihn nicht und die Verbindlichkeit eines Bestattungsrituals ist ihm fremd. Sein zurückbleibender Körper wird verrotten wie alle Materie zerfällt, wenn es Zeit ist. Einen speziellen Ort (für diesen zugegebener Maßen unerfreulichen Prozess) bräuchte er nicht. Man hat Orte und Zeiten der Erinnerung in sich oder man hat sie nicht, so denkt er. In einem Film über Tibet sah er einst wie buddhistische Mönche mit dem Körper eines Verstorbenen verfuhren. Sie hüllten ihn in Sackleinen und schafften ihn hinaus in die Einöde. Dort überließen sie ihn der Natur.

Letzte Nacht stieg das Wasser des Lebens bis an den Rand meines Lagers und so viel Weisheit schaukelte auf seinen Wogen und ich mit, federleicht. Glückstrunken sah ich fern schon das Eiland der Seligen leuchten, dort, wo Nichts vertraut ist und darum alles, wie es heißt. Ach, ihr zarten Traumschäume! Unruhig dann die letzte Woge, die mich aus meinem Traum in die trockene Wahrheit wachen Lebens stieß. Mal wieder war ich gestrandet, angespült wie schiffbrüchiges Holz, hier, in meinem Leben. Eine Weile noch lauschte ich, ob ich wohl das Rauschen der Wellen vernähme. Aber es war nur der Regen draußen vor meinem Fenster, der von See und Eilanden nichts wusste. Gleichmäßig, fast behäbig, netzte er das Land, und verpflichtete mich später dann, fast schon versiegend, zu diesem Tag, wie zu allen anderen vor ihm.

Im Lebens gibt es traurige Seiten und glückliche. Dass wir davon wissen, lässt es tragisch sein, auch ganz ohne Pathos.

Außerhalb seiner selbst ist das ”schöne, wunderschöne, herrlich schöne Leben mit seinem sich über das sonnigblaue Meer wölbenden Himmel, seiner seelennahen, innigen Nacht, seinem duftenden Wein, seinen heißen Frauenarmen, seiner Kunst, seinen blühenden Inseln - seinen Göttern” (Bele Hamvas, ”Kierkegaard in Sizilien”, Matthes und Seitz, S. 72) völlig ohne Sinn. Hat man das erkannt, verweilt man gerne in gleichbleibender Zuneigung wie der Zuversicht, es ohne Reue verlassen zu können, wenn es einen verlässt, selbst wenn der Abschied endgültig sein sollte.

Die Ästhetisierung der Lebensverhältnisse hat nichts mit bloßer Dekoration zu tun, sondern bildet Sensibilität aus für eine beherzte Gestaltungskraft aller Lebensverhältnisse.

Realität (Naturvorbild) wie Idealität (Bildideen) sind gleicherweise in der Lage den künstlerischen Prozess zu befeuern.

Bilder kommen zu mir wie ich ihnen entgegen.

Kunst ist ein anspruchsvolles Geschenk an das Individuum.

Im Werk markiert das Zufallende (Zufällige) Notwendigkeit. Man kann nicht auf sie zuarbeiten, höchstens von ihr weg, sich entfernend vom Zufall.

Betrachte dich und dein Leben mit zukünftigem Blick. Über was würdest du Tränen vergießen, worüber lachen? Was wäre noch von Bestand, ernst und mit angemessener Geste, im Rund dessen, was sich dein Leben nennt?

Was Wirklichkeit ist, bestimmt die Wirklichkeit.

Kunst ist nicht bloß Inhalt und Form, sondern Prozess und Produkt konsequenten Bezogenseins auf ein Zufälliges hin, dem sie je Ausdruck verleiht, ohne es unmittelbar ausdrücken zu können (”l’art pour l’art”, nicht im Sinne der Verunglimpfung, sondern des Wesentlichen).

Metaphysik beginnt da, wo der Verstand über die Widersprüchlichkeit seiner Erkenntnis stolpert.