Jul 2019

Imagination überträgt je nach individueller Einbildungskraft eine Vorstellung, etwas Ausgedachtes, in ein (Kunst) Werk. Das ist die herkömmliche Auffassung. Dagegen Imagination als der spezifische Einfall selbst - fern etwas Vorgestelltem -, der sich während eines Gestaltungsgeschehens werkbildend kundtut. Das ist die eher verborgene Realität.

Kann es das geben: ein (Kunst) Werk ohne Leidenschaft? - Merkwürdig die Koppelung von Leiden und Schaffen. Man könnte fast zurückschrecken vor diesem Wort.

Mein Wille richtet sich anhaltend unhaltbar auf ein Unerreichbares. So bin ich leidenschaftlich aus Sehnsuchtsgründen.

Leidenschaften kann man haben, Leidenschaft muss unterhalten werden.

Schwer ist es einen Anfang zu machen und auch das Ende zu finden nicht leicht. Im Lauf der Dinge und Verhältnisse nur vorübergehend ein Verweilen.

Man greift ein inneres oder äußeres Motiv auf und formt es zu einem Werk. Ein künstlerischer Vorgang in Idee und Ausführung.

Künstlerisches Leben ist gestaltetes Leben. Es räumt den Impulsen individuellen Inneseins besonderen Spielraum ein, manchmal entgegen der Forderungen äußerer Lebensnotwendigkeiten. Man könnte auch sagen, es gehorcht einer anderen Lebensnotwendigkeit.

Im Grunde genommen mache ich beim Malen nichts anderes, als Ordnung in Impulse zu bringen und entstehende Ordnung zu impulsieren. Ein seltsamer Vorgang, nicht gewollt, aber trotzdem dem Willen zur Gestaltung unterworfen.

Wissenschaft. Das meint Wissen schaffen. Etwas Kreatives klingt da an. Aus der Ferne winkt ein künstlerisches Prozedere, auch hier.

Phantasie gibt vor, was sein oder vielleicht sein könnte. Der Gestaltungsakt selbst dagegen spiegelt das, was ist, und will immer bezogen sein auf das, was ist.

Als ich in diesem großen Saal stand, der nichts enthielt als ein paar kleine, kostbare Gemälde, Perlen an riesenhaften Wänden, war es mir plötzlich, als ob mein Leben einer überfüllten Zelle glich, in der ich meine Zeit damit zubrachte, angesammelten Ramsch möglichst effektvoll hin und her zu schieben. Wie kleinlich und darum lächerlich. Und all die Kostbarkeiten um mich herum schienen der gleichen Meinung zu sein. Ihre Ansichten spiegelten nichts anderes als einen leeren Blick, unfähig irgendetwas Bedeutungsvolles ins Auge zu fassen.

Im Prozess offenbart sich Einbildungskraft als Richtung weisende Eingebung, die Erkenntnis bestimmt wie Ergebnis.

Dass sich in dem Wort Theorie (”zu gr.theorós ’Zuschauer’, besonders einer, der als Gesandter einer griechischen Stadt zum Tempel, Orakel oder Festspiel eines Gottes ging”, Kluge, ”Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache) etwas Göttliches verbirgt. Nicht auszudenken für einen Theoretiker.

Sehr unangenehm ist ihm, etwas tun zu müssen, was ihm keine Lust bereitet. Darum empfindet er auch jegliche Pflicht als Zumutung. Auch anderen bereitet er Lust nur, um sie selbst möglichst verpflichtungsfern und störungsfrei genießen zu können.

Die Fähigkeit zur Wahrnehmung ist der erste Schritt zur Gestaltung eines mitmenschlichen Lebens.

Wer einem Gemälde gegenübersteht, kommt nicht umhin, den passenden Betrachtungsabstand herzustellen. Unzählige, behutsam vorwärts wie rückwärts strebende Füße in den Museumssälen belegen dies, auch meine. Aber was ist der richtige Abstand? Gut, will ich Einzelnem nachspüren, muss ich mich dem Bild nähern, möglicherweise so weit als dies meine Sehstärke nur zulässt und der institutionell vorgegebene Mindestabstand. Dagegen bedarf der Überblick einer gewissen Ferne. Ich muss mich aus der Nähe des Bildes lösen, Abstand suchen. Dabei gehen Details verloren. Und die Schau des Ganzen (um des Ganzen willen), in der sowohl Überblickshaftes wie Einzelnes aufgehoben sind in einer innigen, unauflösbaren Verflechtung? Sie erschließt sich irgendwo dazwischen, von einer unsichtbaren und veränderungsfähigen Schwebezone aus. Für mich fast ein Glücksareal. (siehe auch Peter Nádas ”Der Mensch als Schöpfer und Überlebender” in ”Leni weint”, Essays, Rowohlt, S.423 ff.).

Am Anfang Nichts, dann Bilder, dann Gedanken, später Erklärungen und Beweise, scheinbare, bis heute. Erkenntnisse im Quadrat.

Wo keine Beziehung, da keine Bezogenheit (und umgekehrt).

In der ”Gemäldegalerie” in Berlin einige Portraits von Frans Hals entdeckt. Farbzarte Modulationen mit flächigem, recht freiem Strich, der sich nicht scheut Auftragsspur zu sein. Offenbarung vor Tizian’s spätem Selbstbildnis. Überraschender Kontrast zwischen freiem Malgestus der Gewandbehandlung, besonders im Bereich der Ärmel, und der fein ausgearbeiteten Wiedergabe des Gesichts.

Kunst als Ursprungsmetapher, ohne Beweis und erklärungsfern.

Das Kunstwerk setzt sich aus IST-Zuständen zusammen.

Jedes Kunstwerk beinhaltet ein neues Fragen, einen neuen Versuch der Versicherung, einmalig, nicht anhaltend.

Die alten Bahnhofsbauwerke sind zu kurz für moderne Langstreckenzüge. Nur die neu Erbauten oder nachträglich Angepassten - wobei oft nur der Bahnsteig verlängert wurde über das Gebäude hinaus, wie eine überlange Gliedmaße aus einem zu kurzen Hosenbein aus der Bahnhofsarchitektur herausragend - sind in der Lage, einen Schnellzug neuer Generation in seiner ganzen Länge aufzunehmen.

Als mir ein Licht aufging, erkannte ich, dass ich bislang in Unkenntnis dessen gelebt hatte, was einem Licht möglich ist. Es sagt sich leicht hin: jetzt geht mir ein Licht auf, und ich weiß natürlich, was mit dieser Redewendung gemeint ist. Eine Metapher, sicher. Bild für eine (vielleicht) überraschende Einsicht. Dass Licht aber nicht aufgehen kann und auch nicht unter, hatte ich mir bislang nicht klar gemacht. Die Sonne geht auf, der Mond, die Sterne. Aber Licht? Licht kann nicht anders als sein oder nicht sein. Licht ist.

Jedes Kunstwerk trägt seine Entstehungsgeschichte in sich vom ersten Gestaltungsschritt bis zum letzten. Entlassen aus diesem Prozess reiht es sich ein in die Sichtbarkeit alles Schönen, als ob es nie anders hätte sein können, als es jetzt ist.

Alter macht einsam. Die zunehmenden Eigenheiten, auf geradem Weg zur Engstirnigkeit, trennen von Gleichaltrigen (und nicht nur von ihnen), die auf ähnlich geraden Wegen unterwegs sind, und der erfahrungsgesättigte wie ernüchterte Blick eines Menschen, der auf viele Lebensjahre zurückblickt, verunmöglicht die Verständigung mit der noch altersschmalen Jugend. Ein ’Schau her wie es mir und zeig mir wie es dir geht’ hat Seltenheitswert, und wäre doch die Lösung.

Lange zurück liegt die Zeit (und wer weiß, ob es sie überhaupt je gegeben hat), da Alter geehrt wurde, für sich, bedingungslos, ohne dass man danach gefragt hätte, was es zu sagen hat.

Die Würde des Alters ist eine zu realisierende.

Vor einiger Zeit entdeckte ich ein Buch in meiner Sammlung. Ich hatte es vor Jahren einmal angelesen, dann beiseite gelegt und vergessen. Jetzt sprach mich sein Titel ”Die Macht der Phantasie” an und ich nahm es aus dem Regal, um meine Lektüre wieder aufzugreifen. Der Autor schreibt über Einbildungskraft und illustriert das mit vielen Beispielen aus Literatur und Kunst. Und er setzt sie in scharfen Gegensatz zu Rationalität und reinem Verstandesdenken. Die Vorstellungswelt fantasievoller Naturen ist ihm sehr nahe und ich vermute, das er ihr selbst angehört.

Meine Einbildungskraft geht so weit, dass sie Bilder entstehen lässt, die ich mir so nicht eingebildet habe. Insofern vollzieht sich meine Arbeit nach sehr alter Art, verbunden einer sehr weit zurückliegenden Vergangenheit.

Bildprozess: am Anfang steht etwas Unscharfes, aber sehr Eindrückliches. Am Ende hat sich die Unschärfe aufgelöst, das Eindrückliche in Ausdrucksstärke verwandelt.

Zeichnen als handschriftliche Empfänglichkeit, als handschriftliches Empfindungsvermögen.

Eine rein materielle Lebensauffassung muss logischerweise zu dem Schluss kommen, dass alles, was ihr im Leben widerfährt, eine rein materielle Ursache (Bedeutung, Erklärung) hat.

Selbstvergessenheit ist eine (nicht nur, aber auch künstlerische) Ausnahmesituation, die der rational eingestellte Mensch entrüstet von sich weist, weil er instinktiv spürt, dass sie ohne Kontrollverlust, das heißt Selbstaufgabe, nicht erlebbar ist.

Die Symbolik einer zeichnerischen Geste liegt in ihrer motorischen Dimension, die mehr zu zeigen in der Lage ist, als sie für sich gesehen zum Ausdruck bringen kann.

Wiederholendes Erneuern als künstlerisch-ästhetische Arbeitshaltung. Klingt widersprüchlich, ist widersprüchlich, aber stimmt irgendwie.

Wer mit sich selbst im Gespräch ist, verliert keine (überflüssigen) Worte mehr.

Erkenntnis heißt, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen, ein lebenslanger Entscheidungsprozess und nicht immer ein einfacher.

Früh an diesem Tag eines noch nicht alten Sommers, der seiner Existenz bereits überdrüßig zu sein scheint, dringt Geläut von Kuhglocken an mein Ohr. In meiner Nachbarschaft gibt es keine Kühe und meines Wissens auch keine Kuhglocken. Woher das Läuten kommt, ich weiß es nicht, und bin mir auch seiner Existenz nicht ganz gewiss. Aber es löst ein Bild aus, in dem ich mich auf einer Bergwiese wiederfinde, liegend in hohem Gras zwischen zart duftenden Blumen, und einer leuchtenden Sonne entgegen blinzle, die, eben noch matt, alles mit kostbarer Patina überzieht.